von AJ_Fox
Jo saß wie jedes Mal in der Pause in ihrem „Freundeskreis“, als ein etwas schüchterner Junge auf sie mit unsicheren Schritten zuging mit einem Schwarzen Heft in der Hand. „Hier Johanna dein Mathe Heft. Danke, dass du es mir ausgeliehen hast.“, stotterte er und wollte wie es aussah so schnell wie möglich wieder weg. Nein er stotterte normalerweise nicht und er war normalerweise auch gern in der Nähe von Jo nur die Personen, die sie umgaben machten ihm Angst. „Schleich dich, sonst fängst ein paar“, rief ihm plötzlich einer aus der Gruppe hinterher. „Genau und glotz nicht so behindert, sonst polier ich deine Fresse das nächste Mal“, fügte ein anderer hinzu. „Jetzt hört auf, der hat mir doch nur mein Heft gebracht…also seit mal ruhig.“, erwiderte plötzlich Jo und blickte sie mit einem ernsten Blick an. Die Beiden wurden tatsächlich still, standen auf, nahmen sich jeweils eine Kippe und verschwanden um die Ecke zum rauchen.
Jo´s „Freunde“ waren nicht grade die vorbildlichsten Personen eher das Gegenteil. Doch in der Gegend, wo Jo aufwuchs gehörte man entweder zu DENEN oder zu den Opfern, die immer von DENEN rumschikaniert wurden. Jo hatte sich entschieden kein Opfer zu werden und erkämpfte sich Anerkennung in den Kreisen die später zu ihrem Alltag dazu gehörten, doch im Gegensatz zu anderen, wusste sie genau was sie wollte und dieser Zustand war nur vorübergehend, bis sie endlich weg könnte, weg aus dieser Gegend, weg aus dem Heim wo sie lebte, weg von all dem was sie so langsam ankotzte. Es klingelte und alle schlenderten ganz langsam wieder in ihre Klassen. Der Unterricht war erneut in dieser Woche ausgefallen und so hatten Jo und ihre „Freunde“ wieder mal Zeit um über so einiges zu reden. „Hey hast du eigentlich schon von Basti gehört? Der will so einen Wichser am Wochenende zusammenschlagen und hat gefragt ob wir Lust haben mit zu kommen. Kommst du mit?“, fragte Georg, der jenige, der wohl schon über 30 Anzeigen bekommen hatte auf die er ganz Stolz war und das, obwohl er erst vor wenigen Wochen 16 geworden ist. „Ich weis nicht muss mal schauen hab da auch no mit einem was zu klären. Der redet zu viel Scheiß über mich.“, antwortete ihm Marcel, Georgs bester Freund. „Was ist mit dir Jo, hast du Zeit? oder lassen dich deine dummen Erzieherinnen wieder nicht weg?“ „Die sind nicht dumm.“, erwiderte Jo und fuhr fort „Ähm ich weis nicht. Ich schau mal ob ich vielleicht abhauen kann aber ich kann nichts versprechen.“ Natürlich durfte sie weg aber das war meistens ihre Ausrede, wenn sie nicht bei solchen Sachen mitmachen wollte. Sie hatte schon ein Mal aus sicherer Entfernung miterlebt wie solche Treffen abliefen. Zwei oder Drei starke Typen gehen auf Einen los, bis der kaum noch atmen kann...nein so was wollte sie nie wieder sehen. Auch wenn Jo zu DENEN dazu gehörte wusste sie immer wo ihre Grenzen sind und hatte noch nie irgendwelche Schwierigkeiten.
Schon seit mehr als Zwei Jahren hatte sie ein ganz bestimmtes Ziel, welches nun in weniger als 3 Wochen in Erfüllung gehen würde aber bis dahin musste sie noch die Zeit ertragen, was Johanna mit jedem Tag schwerer und schwerer fiel. Zu sehr freute sie sich schon drauf endlich bald von hier weg zu können. In einer Woche würde sie endlich 18 werden und könnte aus dem Heim verschwinden. In 3 Wochen würde sie ihren Realabschluss haben und die Schule verlassen.
Während die Anderen weiter redeten, ging Jo raus in den Flur und setzte sich auf den Tisch der am Fenster stand. Sie erinnerte sich wie alles begann in der 9. Klasse. Da hatte sie zum ersten Mal die Idee wie sie zwei Sachen auf einmal erledigen könnte. Ihren späteren Beruf, denn sie schon seit einigen Jahren im Kopf hatte und den Wunsch so weit wie möglich abzuhauen von all dem, was sie ihr ganzes Leben umgab. Sie saß oft nach der Schule im Computerraum und suchte nach Informationen über den Beruf. Jo erinnerte sich wie froh sie war, als sie die Bewerbungsunterlagen in ihren Händen hielt und sie so schnell es ging ausfüllte. Wie sie erst einen Monat später tatsächlich eine Antwort bekam. Eine positive Antwort. Nur es gab ein Problem sie musste dafür für mehrere Tage wegfahren, da sie zum Einstellungstest eingeladen wurde. Zum Glück Hatte Jo sehr nette Erziehrinnen in dem Heim, die ihr geholfen hatten. Sie Entschuldigten Johanna von der Schule und beschafften ihr eine Übernachtungsmöglichkeit. Die fahrt zahlte Jo selber. „Johanna? Was machst du den hier? Habt ihr etwa wieder kein Unterricht?“, fragte sie plötzlich Herr Schneider, ihr Biologie Lehrer. „Nein wir haben Freistunde“ „Das gibt’s ja nicht. In 2 Wochen fangen die Abschlussprüfungen an und ihr habt jeden Tag Freistunden. Das muss ich mal sofort mit dem Direktor bereden, denn so was ist ja nun echt das letzte. Wie sollen da die Schüler dann noch gute Noten Schreiben, wenn an dieser Schule absolut nichts gemacht wird.“, murrte der deutlich verärgerte Lehrer und machte sich sofort auf den Weg zum Direktorat. Jo schaute aus dem Fenster und versank wieder in ihren Erinnerungen, die Herr Schneider eben unterbrochen hatte. Sie dachte an ihre Freizeit in den letzten Jahren. So viele Ferienjobs, Wochenendjobs und andere Arbeiten die sie neben der Schule erledigte, um sich die Fahrt leisten zu können. Wie groß war ihre Angst damals vor diesem Test, auch wenn einige Lehrer die von Jo´s Plänen wussten, ihr viele Male sagten, dass sie es locker schaffen würde, was sie auch natürlich tat, doch die Angst vor der Prüfung war da aber am schlimmsten war es als sie in ein Zimmer rein gebeten wurde und eine Dame und zwei Herren, die sich in dem Raum befanden ihr unzähligen Fragen stellten und zum Schluss endlich sagten sie wäre eine der 7 Bewerber mit dem besten Ergebnis. Nun stand ihr nur noch eine Sache bevor. Sie musste ihre sportlichen Leistungen unter Beweis stellen. Aber das war für Jo nun absolut kein Thema, denn sie war sehr sportlich. Zum Schluss ein Bewerbungsgespräch, welches aber nicht lange dauerte, weil man ihr sofort zusagte „Herzlichen Glückwunsch Sie haben alles erfolgreich bestanden und wir würden uns freuen Sie, dann im nächsten September bei uns wieder zusehen.“ Diese Worte spielten sich so oft in Jo´s Kopf ab. Eigentlich das ganze Schuljahr schon und nun würde die Zeit kommen. Der Vertrag war schon Unterschrieben nur ein gutes Abschlusszeugnis brauchte sie noch. Es läutete und die Freistunde war zu Ende. Nun kam wieder der langweilige und anstrengende Mathe Unterricht und das auch noch in der sechsten Stunde und bei so einer Hitze. Nur ganz langsam vergingen die Minuten von dieser Stunde und die ganzen Gleichungen und Tabellen interessierten Johanna überhaupt nicht, weil dieses Thema die ganze Klasse nun schon seit Monaten hatte und inzwischen wusste Jo sogar fast alle Aufgaben in ihrem Mathebuch auswendig über dieses Thema. Genauso langweilig wie diese Stunde, war der Unterricht in den nächsten 2 Wochen ebenfalls zum einschlafen, so empfand es zumindest Jo. Aber zu ihrem Glück hatte sie immer ein wenig Ablenkung von Georg und Marcel, die immer irgendeinen Schwachsinn machten und die Lehrer damit in den Wahnsinn trieben. Ihr Geburtstag war auch eine große Ablenkung, bei dem sehr viel Alkohol getrunken wurde, doch die Kopfschmerzen am nächsten Tag im Unterricht fand sie ganz und gar nicht „cool“.
Doch dann war es endlich soweit. Die Prüfungen begannen. Jeden Tag rannten gestresste Schüler in dem Schulgebäude rum. Einer hatte nun keinen Zirkel für seine Mathematikprüfung, der zweite hatte verschlafen und wurde somit nicht fertig und andere heuten rum, weil sie bei ihren Prüfungen auf einmal nichts wussten. Jo sah sich jeden Tag dieses Schauspiel ganz gelassen an und war in ihren Gedanken schon längst weit, weit weg von diesem Chaos.
Eine Woche später gab es die Notenbekanntgabe. Es gab ebenfalls zahlreiche enttäuschte Gesichter, die wohl ganz andere Ergebnisse erwartet hatten und eine überglückliche Jo, die schon längst ihre wenigen Sachen gepackt hatte und es kaum noch abwarten konnte endlich in ihren Zug zu steigen der bereits am nächsten Tag um 11:25 fahren würde. Aber bevor es soweit war, kam die Verabschiedung von ihrem Freundeskreis, die Johanna nicht wirklich schwer fiel, denn auch wenn sie die Leute, die sie bei dem letzten Treffen umgaben FREUNDE nannte, wussten Diese so gut wie gar nichts über sie. Trotzdem war sie irgendwo Einbisschen traurig darüber, schließlich verbrachte sie mit diesen Menschen fast ihr ganzes Leben und nun würden sie nicht mehr in ihrer Nähe sein. Das bedeutete kein andauerndes Fluchen mehr von Georg, Marcel, Sandra und anderen, mit denen sie immer Unterwegs war, keine Schlägereien, keine Saufpartys bei denen mindestens einer immer im „weißen Zimmer“ zu sich kam, weil er eine Alkoholvergiftung hatte. „Nein das wird mir bestimmt nicht fehlen, denn eigentlich konnte ich es so oder so nie leiden“ ermunterte sich Jo in Gedanken, verabschiedete sich von ihren Freunden mit letzten Umarmungen und machte sich auf dem Weg zum Heim, wo sie nun ihre letzte Nacht verbringen würde. Auf dem Weg überlegte sich Jo etwas, was ihr doch fehlen könnte, Etwas oder Jemanden, den sie vermissen könnte. „Da bist du ja endlich. Weist du eigentlich wie spät es schon ist? Morgen wirst du dann wieder wie verrückt rum rennen und verpasst noch dein Zug“, sagte plötzlich eine ihr sehr bekannte Stimme, als Jo im Heim ankam. Diese süße Stimme gehörte ihrer Erzieherin, für die Jo schon seit Jahren schwärmte aber niemals ihr ihre Gefühle gestehen würde, da sie es nicht für angebracht hielt schon allein wegen dem Altersunterschied. Wie ein Blitz traf es Jo. Genau das würde sie vermissen. Ihr Lächeln, ihre Augen, einfach alles an dieser Frau. Diese Feststellung betrübte Johanna etwas aber es konnte sie Nichts und Niemand davon abhalten Morgen zu fahren. Nicht mal die allerschönste Frau der Welt hätte es geschafft......
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