von XxMEDUSAxX
Es klopfte leise an der Türe und ich hörte es nur sehr gedämpft, wie eine Stimme sagte: „Gnädiges Fräulein?“ Ich musste mich sehr zusammenreißen, um wach zu werden, da ich die ganze Nacht lang nicht schlafen konnte und mir immer wieder dieses Mädchen durch den Kopf ging. Der Morgen graute schon, als ich endlich einschlief. So brachte ich zuerst nur ein schwaches: „Ja!“ heraus. „Man bat mich, nach euch zu sehen, da es schon Mittag ist und ihr schon vermisst werdet!“ Hörte ich die Stimme weiter. Plötzlich schoss wieder ein Blitz durch mein Herz und mein Brustkorb zog sich zusammen, dass mir die Luft wegblieb. Das war sie! Die Stimme! Das war ihre Stimme! Die Stimme des Mädchens! Ich sprang aus dem Bette, schaute mich nach links und rechts um und suchte meinen Morgenrock. Schnell zog ich ihn über und blieb dann aber wie angewurzelt vor der Türe stehen. In meinem Kopf drehte es sich: „Sie steht mir jetzt genau gegenüber. Nur die Türe trennt uns. Öffne die Türe und frage sie, wie sie heißt und sage ihr, dass du dich in sie verliebt hast!“ sagte ich zu mir selbst. Obgleich ich mich anschickte, die Türe schnell zu öffnen, bevor sie denken würde, dass ich noch im Bette wäre, kam es mir vor, als würde jemand die Zeit anhalten und ganz langsam laufen lassen. Die Türe öffnete sich und da stand sie. Jetzt konnte ich sie in voller Gestalt sehen. Mein Herz schlug mir bis zum Halse und ich dachte es würde so laut schlagen, dass sie es hören könne und das brachte mich in Verlegenheit. „Nimm dich zusammen! Rede mit ihr und stehe nicht so dumm herum!“ Schalte ich mich selbst. „Ist alles in Ordnung? Fühlt ihr euch nicht recht?“ Fragte mich dieses holde Wesen. „Oh, ... ich habe nicht sehr gut geschlafen. Um es genau zu sagen, sehr wenig.“ Sagte ich mit zitternder Stimme, wie ich es selbst wahrnahm. Das Mädchen schaute mich nun mit so einem mitfühlenden und rührenden Blick an, dass ich sie am liebsten in meine Arme gezogen hätte. „Kann ich etwas für euch tun, damit es euch besser geht?“ Fragte sie kümmernd. „Nein, danke! Ich werde mich rasch umkleiden und dann nach unten kommen, um etwas zu essen, wenn es keine Umstände macht?“ Gab ich ihr als Antwort, obwohl mir so vieles durch den Kopf ging, dass sie für mich hätte tun können. „Natürlich nicht!“ Erwiderte sie, machte einen Knicks, drehte sich um und ging, wie mir schien, schwebend die Treppe hinunter. Länger als üblich benötigte ich, um mich frisch zu machen und mich umzukleiden. Erst als ich am Tisch saß, Friedrich mir gegenüber, der mich hintergründig anlächelte, wurde mir das bewusst und auch, dass ich sehr besorgt war, ob ich mich richtig zurecht gemacht hatte. Oh ja, dieses Mädchen hatte mich wirklich reichlich verwirrt und ich konnte mich selbst nicht belügen, dass ich sie nur sympathisch fand. Die Wirtin brachte uns ein reichliches und gutes Mahl und lächelte dabei freundlich. „Wo ist denn das Mädchen, ich dachte sie würde uns bedienen?“ Fragte ich sie, was ich im nächsten Moment als ziemlich unpassende Frage empfand. Die Wirtin schaute mich mit einem herzlichen Gesichtsausdruck an und sagte: „Julia? Meint ihr Julia? Das Mädchen, dass ich zu euch nach oben schickte? Die ist eben nach Hause gegangen. Warum? War sie unfreundlich zu euch?“ Ich überlegte einen Moment und dieser Name brannte sich in mein Herz: „Julia!“ Dann drehte ich mich zu der Wirtin und sagte lächelnd: „Nein, nein ... sie ist sogar eine sehr freundliche Person. Ich dachte nur, sie wäre noch hier.“ Die Wirtin stellte den letzten Teller vor mir ab und sagte: „Es hätte mich auch wirklich verwundert, wenn sie zu euch unfreundlich gewesen wäre. Sie ist so ein liebes Mädchen. Etwas verschlossen, was sie selbst betrifft, aber sonst so herzig, dass man sie einfach lieb haben muss!“ Damit drehte sie sich um und ging zurück in die Küche. Friedrich erkundigte sich, warum ich so lange geschlafen hatte, da dies nicht meine Art war und als ich es ihm berichtete, lächelte er wieder und meinte, dass er sich so etwas schon gedacht hatte und das man es mir anmerken würde, wenn man mich so wie er, gut kannte. „Warum habt ihr die Wirtin nicht gefragt wo sie wohnt, oder zumindest, wann sie wieder hier ist?“ Fragte er mich. „Das geht doch nicht, was soll die Wirtin von mir denken? Und noch dazu weiß ich nicht, ob es wirklich gut wäre, wenn ich das wüsste.“ Friedrich wusste was ich damit meinte. Denn, seitdem meine große Liebe mich bitter enttäuscht und mein Herz gebrochen hatte, verweigerte ich jedes Gefühl, dass in Richtung Liebe ging. Seither konnte niemand mehr mein Herz berühren. Das war es aber auch, was mich so zum straucheln brachte. Dieses Mädchen, Julia, hatte offensichtlich mein Herz berührt. Nur durch ein paar Worte und diese wunderschönen Augen. Doch die Angst, lies es nicht zu, dass ich so unbefangen auf sie reagierte, wie bei anderen, bei denen ich innerlich wusste, dass daraus nie etwas werden würde.
Nachdem ich mir selbst ein Bild vom Befinden des lahmenden Pferdes gemacht hatte, beschloss ich mich abzulenken und ein wenig auszureiten. Ich selbst sattelte eine meiner Stuten und ritt im langsamen Trab davon. Eine wirklich wunderbare, idyllische Landschaft bot sich mir. Saftige, grüne Wiesen, mit großen Bäumen und vielen Wildblumen, die sich im sanften Wind, hin und her wogen. Das Pferd unter mir schnaubte entspannt und ich atmete tief ein und sog den süßlichen Duft, der in der Luft war, in mich ein. Wie ich so an einem Birkenhain vorbeiritt, hörte ich leise, wie eine süße Stimme vor sich hersang. Ich lies das Pferd seinen Schritt verlangsamen und versuchte auszumachen woher diese lieblichen Töne kamen. Dumpf schlugen die Hufe auf den lockeren Boden und die Stimme wurde immer ein kleinwenig lauter, als ich langsam auf den Birkenhain zuritt. Nun sah ich, durch das Geäst der vielen Büsche, die ringsumher standen, eine schemenhafte Gestalt, die sich anmutig bewegte. Da ich neugierig war, wer die Person sein mochte und sie auch nicht stören wollte, stieg ich ab und schlich leise näher, bis mich nur noch ein einziger Busch von der Lichtung trennte, auf der dieses Wesen tanzte. Duckend, lugte ich durch die Zweige des Busches und versuchte zu erkennen, was da vor sich ging. Es war ein Mädchen. Ein Mädchen, dass, mir den Rücken zugewandt, vor sich hintanzte und sang. Als sie sich in einer Drehung, zu mir wandte, traf mich wieder der Blitz. Es war Julia! Ich war wie gelähmt und hatte schon Bedenken meine Atmung könne versagen, so ergriffen war ich von ihrem bezaubernden Anblick. Nun bekam ich Angst, sie würde mich bemerken. Doch ich vermochte nicht, auch nur eine Bewegung zu tun. Plötzlich verstummte sie. Da ich mich nicht bewegen konnte, starrte ich sie zitternd an und verfolgte, wie sie langsam in meine Richtung schritt. Auf einmal wandelte sich ihr Gesichtsausdruck und sie sah nicht mehr so glücklich drein wie noch zuvor. Ihr Blick ging zu Boden und sie blieb stehen. Da kam, auf der mir gegenüberliegenden Seite, eine Frau durch die Büsche. Julia drehte sich zu ihr um und ich lauschte. „Was ist denn jetzt nun wieder?“ fragte Julia forsch. „Du weißt doch, dass du dich nicht alleine hier herumtreiben sollst. Stattdessen, solltest du lieber nützliche Dinge tun. Du tanzt und singst hier und träumst vor dich hin. Wirst du es nie lernen?“ Sagte die Frau. „Was ist so schlecht daran, zu träumen und auch an andere Dinge zu denken, als das, was täglich unsere Pflicht ist? Außerdem habe ich meine Arbeiten längst erledigt.“ Die Frau trat an Julia heran und sprach weiter: „Weil du von Dingen träumst, die die Gedanken nicht wert sind. Du träumst davon deine große Liebe zu finden und ein neues Leben anzufangen. Begreife es endlich, du bist die arme Tochter eines armen Bauern. Du wirst nie von hier weg kommen. Du wirst den Sohn eines anderen Bauern heiraten und wenn wir Glück haben, dann besitzt er mehr Ländereien, als unser Vater und es wird dir besser gehen als mir. Aber glaube nicht, dass du deine große Liebe findest. Bis du diese findest, bist du alt und grau, wenn du bis dahin noch nicht verhungert bist, weil du niemanden hast, der für sich sorgt.“ Julia war mit der Rede sichtlich nicht zufrieden und rief irgendetwas von Freiheit und das sie sich nicht verheiraten lassen würde, nur damit sie jemanden hätte, der für sie sorgen würde und das sie für sich selbst sorgen könne. Mit diesen Worten ging sie erbost von dannen. Die Frau, wie ich nun wusste, die ihre Schwester war, blieb noch einen Moment stehen und schüttelte den Kopf. Dann ging sie ihr nach. Da Julia nun fort war, konnte ich mich wieder bewegen und schickte mich an, schnell fortzukommen, bevor mich jemand sehen würde. Nun fühlte ich mich schlecht, dass ich das Gespräch belauscht hatte. Aber andererseits war ich ein wenig froh darüber, dass ich so, etwas mehr über dieses zauberhafte Wesen erfahren konnte. Was für eine Welt war das nur, dass man davon ausging, dass sie einfach so, einen Bauernsohn heiraten und wahrscheinlich nicht einmal lieben würde, nur damit ihr Lebensunterhalt gesichert schien? Wie ich so daherritt und darüber nachdachte, schmerzten mich diese Gedanken sogar. Doch Julia schien mir mit Courage gesegnet zu sein. Ja, ich empfand es als Segen, denn ich hatte den Eindruck, dass sie keine Frau war, die sich leicht unterkriegen lassen würde. Meine Achtung vor ihr stieg immer mehr. Und sie faszinierte mich immer mehr.
In dieser Nacht träumte ich sogar von ihr. Sie ritt in vollem Galopp, ohne Sattel und Zaumzeug, auf einem meiner Pferde. Die Mähne und der Schweif wehten im Wind. Julias Finger tief in der Mähne verankert. Ihr Kopf weit nach vorne zum Pferdehals gestreckt, ging sie bei jedem Galoppsprung mit der dehnenden Bewegung des Pferdes mit. Sie ritt, als hätte sie nie etwas anderes getan. Mein Traum bestand nur aus diesen beiden Wesen, die Eins miteinander, durch weite Landschaften jagten. Ich konnte fühlen, wie frei und unbändig sie sich fühlten. So, wie Gott sie geschaffen hatte.
Als ich morgens erwachte, wusste ich, warum ich von ihr auf dem Pferd träumte. Sie war wie ein Pferd in Gefangenschaft. Gebunden an Ort und Stelle, jedoch unbändig und frei im Herzen. Tief in mir wusste ich, dass niemand vermochte, ihr Herz einzufangen. Denn, je mehr man versuchte, sie an sich zu binden, desto mehr würde sie sich von einem entfernen. Und reinen Herzens, sagte ich lächelnd zu mir: „Also ist es besser, sie gehen zu lassen!“
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