von sanschein
What is love: A fairytale
Es war einmal ein junges, hübsches Mädchen, dessen Augen so klar wie das Meer waren, so dass ein jeder Mann, der in sie hinein schaute, darin zu ertrinken drohte. Da sie zudem die Tochter eines reichen Kaufmannes war, kamen fast täglich Ritter und Edelmänner zu des Vaters Anwesen, um um ihre Hand anzuhalten. Doch an ein Jedem hatte das junge Mädchen etwas auszusetzen: die Nase zu lang, die Ohren zu schief, die Stirn zu flach.
Eines Tages schließlich platzte dem Vater die Geduld. Er ließ seine Tochter zu sich rufen und sprach: „Meine liebes Kind, ich habe jetzt lange genug mit angesehen, wie du dich amüsierst und unbeschwert durchs Leben schreitest. Du bist jetzt in einem Alter, wo du dich für einen Mann entscheiden und ihm eine gute Frau sein musst. Und so erwarte ich von dir, dass du dich bis zum nächsten Vollmond entschieden hast.“
Bedrückt verließ das Mädchen das elterliche Haus und lief in den Wald, wo es, auf einen Baumstamm sitzend, bitterlich zu weinen begann. Plötzlich zuckte sie erschrocken zusammen, als sie neben sich die Stimme einer alten Frau sagen hörte: „Aber weshalb weinst du denn so, mein Kind? Was bereitet dir solch einen Kummer, dass du so viele Tränen vergießt?““ Und so erzählte das junge Mädchen dem alten Weib, welches so viel Wärme und Vertrautheit ausstrahlte, von ihren Sorgen. „Aber mein Kind“, begann die Alte, nachdem sie sich die ganze Geschichte wortlos angehört hatte „du darfst nicht nur auf die Äußerlichkeiten der Menschen achten. Nur mit dem Herzen wirst du das Wesentliche erkennen und die Liebe finden.“ „Aber wie...“, doch bevor das junge Mädchen ihre Frage beenden konnte, war das alte Weib so schnell verschwunden, wie es zuvor aufgetaucht war. Verwundert dachte sie über die Worte der Alten nach. Wenn sie bloß verstünde, was sie damit gemeint hatte! Wie sollte sie mit dem Herzen sehen? Und wie würde sie merken, dass sie die Liebe gefunden hatte?
Die Tage verstrichen und auch weiterhin kamen täglich viele gutaussehende Männer, die dem jungen Mädchen den Hof machten. Doch so sehr sie auch versuchte, den Rat der alten Frau zu befolgen, so schaffte sie es doch nicht, Gefallen an einem der Männer zu finden und so verging Tag um Tag, bis es schließlich nur noch eine weitere Nacht bis zum Vollmond war. Hatte sie bis dahin keinen passenden Ehemann gefunden, würde ihr Vater die Entscheidung für sie fällen. Dem Unglück so nahe rannte das verzweifelte Mädchen erneut in den Wald, ließ sich auf den Baumstamm nieder und weinte verbitterte Tränen. Da stand plötzlich ein fremdes Mädchen neben ihr: „Aber wieso sitzt du denn hier so allein und vergießt so viele wertvolle Tränen?“, fragte sie. Stockend erzählte das junge Mädchen in welch aussichtsloser Lage sie sich befand. Mitfühlend legte das fremde Mädchen den Arm um ihre Schulter: „Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Früher oder später wirst du eine Person finden, die dir wichtiger als alles andere auf der Welt ist.“ „Ja, aber dann ist es bereits zu spät!“ „Für die Liebe ist es nie zu spät!“, erwiderte das fremde Mädchen geheimnisvoll. Fragend blickte das junge Mädchen die Fremde an und betrachtete sie dabei das erste Mal genauer. Sie hatte lange dunkle Haare und einen ungewohnt dunklen Teint. Doch als sie in ihre tiefblauen Augen sah, war sie wie gefesselt. Es erschien ihr, als könnte sie in die Seele des fremden Mädchens schauen; wie ein Zauber, der sie fesselte und dem sie sich nicht entziehen konnte. Ihre Beine wurden schwer und ihr Herz pochte wie verrückt, als das fremde Mädchen sich ihr Stück für Stück näherte, bis schließlich ihrer beider Lippen aufeinander lagen. Es durchzuckte ihren Körper wie einen Blitz. Sie vergaß alles um sich herum, es gab nur noch sie und das fremde Mädchen.
Es war schon spät und die Nacht war bereits eingebrochen, als die beiden Mädchen eng nebeneinander auf den Boden lagen und in die Sterne schauten. „Verstehst du jetzt, was die alte Frau meinte, als sie von „Liebe“ sprach?“, fragte das fremde Mädchen. „Aber woher weißt du davon, ich habe sie dir gegenüber nicht erwähnt?“ Als keine Antwort kam, drehte sich das junge Mädchen verwirrt zur Seite, doch die Fremde war spurlos verschwunden.
So machte sich das junge Mädchen wieder auf den Heimweg. Man hätte vermuten können, dass sie traurig sein müsste, doch sie war es nicht – im Gegenteil. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie einer Person begegnet, die in ihr Gefühle bewegt hat, die sie zuvor noch nie erlebt hatte. Deren Lächeln in ihrem Bauch Schmetterlinge zum Tanzen gebracht hat. Deren Berührungen ihre Härchen auf der Haut haben senkrecht stehen lassen.
Sie schloss die Augen und versuchte den Anblick des fremden Mädchens in ihrem Gedächtnis zu rekonstruieren. Es fiel ihr schwer sich an die Details zu erinnern, die ihr Gesicht so einzigartig machten. Vielmehr konnte sie noch deutlich die Wärme spüren, die von der Fremden ausging und ihr Geruch war ihr noch deutlich in der Nase. Wie hatte sie nur all die Zeit so blind sein können, dachte sie. Was machte es schon, wer ein Mensch ist, ob Mann, ob Frau und ob große Nase oder hohe Stirn?
Sie lächelte. Zum ersten Mal hatte sie mit dem Herzen gesehen. Zum ersten Mal hatte sie die Liebe gefunden.
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