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Weiße Flügel

von Malicia


Geistesabwesend sah ich auf die Straße hinunter, wo trotz der späten Stunde, immer noch reger Verkehr herrschte.
Gelegentlich sahen einige Passanten von zu mir hoch. Was sahen sie wohl in mir? Eine weißesichtige Frau mit langen schwarzen Haaren und wilden Augen, oder erkannten sie das Ungeheuer das sich dahinter versteckte? Wenn ich gewollt hätte, hätte ich es einfach in ihren Gedanken lesen können aber so genau beliebte ich es gar nicht zu wissen. In meinem Kopf kreiste nur ein Gedanke: Warum habe ich es getan, Wie habe sie ich mich nur zu dieser Schandtat hinreißen lassen können?
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Tränen aus Blut. Ein Wunder das ein Dämon wie ich überhaupt weinen konnte. Langsam löste sich mein Griff von Balkongeländer und drehte mich zögerlich in Richtung Schlafzimmer.

Dort lag sie, in weiße Laken gehüllt, auf dem Bett. Das vielleicht größte Verbrechen was ich je begangen hatte. Amelie. Immer noch hatte ich den Geschmack, ihres Blutes auf meiner Zunge. So Süß, und trotzdem schmeckte es unendlich bitter.

Mir fiel wieder ein, was mein Meister immer zu mir gesagt hatte: „Gehe den Menschen aus dem Weg, es sei denn du hast vor sie zu töten!“ Er hatte es immer ausgesprochen wie eine Drohung. Nun wusste ich wieso.


Ich hätte mich ihr niemals derart nähern dürfen.

Doch etwas hatte mich magisch zu ihr hin gezogen als ich sie nachts, alleine durch die Straßen Berlins streifen sah. Nein, nicht alleine ihr Blut, da war noch mehr gewesen. Etwas, was mich die ganze zeit daran gehindert hatte ihr etwas anzutun.

Zuerst beobachtete ich sie nur im Stillen, doch das reichte bald nicht mehr aus. Ich wollte ihre Gesellschaft. Ich suchte den Kontakt zu ihr, spielte ihr die menschliche Freundin vor. Ein paar weitere Treffen, gemeinsame Theaterbesuche und stundenlange Gespräche. Dann der Kuss, der alles aus mir herausbrechen ließ. Ein fürchterlicher Fehler, den ich da begangen hatte. Niemals hätte ich ihr offenbaren dürfen was ich wirklich war, ein blutdurstiger Dämon, ein Vampir.

Am Anfang betrachtete sie es mit fast kindlicher Neugierde und Unerschrockenheit. Selbst die Tatsache dass ich jede Nacht ein Leben auslöschen musste um selbst existieren zu können, erfüllte sie weder mit Angst, noch mit Schrecken.
So lebten wir eine ganze friedlich miteinander, das Ungeheuer und seine sterbliche Geliebte. Wir reisten durch die großen Stätte Europas, London, Madrid, Rom, Mailand, da wo es uns gerade gefiel, da ließen wir uns nieder. Doch Paris hielt uns bis jetzt noch am längsten.

„Bitte, bitte, lass uns noch ein Weilchen bleiben.“ bettelte Amelie jedes Mal wenn ich den Vorschlag machte weiter zu ziehen. Und ich, ich setzte alles daran ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Jeden, bis auf einen! Wie oft hatte sie mich angefleht sie ihr zu geben, die dunkle Gabe. Und jedes Mal hatte ich mich heftig dagegen gesträubt. Das waren die Momente in denen wir wild und lautstark miteinander stritten. „Du bist wahnsinnig so etwas zu wollen! Hast du auch nur den blassesten Schimmer davon, was dann aus dir wird? Du bist ein Mensch, und das bleibst du gefälligst auch!“ Meistens war das Thema damit erledigt gewesen, denn wenn es eines gab vor dem sie sich fürchtete, dann war es mich wirklich wütend zu sehen.

Doch heute Nacht war alles anders gekommen wie gewohnt.
Mit einem eiskalten Blick aus ihren blauen Augen schaute sie direkt in die meinen und sagte mit entschlossener Stimme: „Wir wissen beide das ich schon längst kein Mensch mehr bin. Und du willst es genau so sehr wie ich!“

Fassungslos starrte ich sie an. Hatte ich ernsthaft geglaubt das alles Erlebte so spurlos an ihr vorübergegangen wäre? Vielleicht nicht wirklich aber gehofft hatte ich es schon. Die meisten Menschen ist kaum in der Lage so etwas Monströses, Unnatürliches zu begreifen. Das Wissen darum konnte jemanden in den Wahnsinn treiben, der Stück für Stück die Seele auffraß. Aber es gab auch Ausnahmen. Menschen mit genügend Kraft das Unbekannte ergründen zu wollen, wofür es in ihren Augen meist nur einen Weg gab, nämlich selbst ein Teil davon zu werden.

Und du willst es genau so sehr wie ich! Diese Worte entsetzen mich noch mehr als ihr Wunsch an sich. Denn nun musste ich mir selbst eingestehen dass sie Recht hatte.
Ich wollte es tun, ich hatte es die ganze Zeit gewollt.
Alle Einwände, mein eignendes, von Blut besudeltes Schicksal, der von Toten gepflasterte Weg auf dem ich seit Jahrhunderten wandelte, all das hatte ich mir mit jedem Tag immer deutlicher vor Augen halten müssen um mich von diesem, nicht wieder gutzumachendem Fehler abzuhalten.

Zuerst schien es als könne ich mich vor Schreck über meine Selbsterkenntnis nicht bewegen doch dann drehte ich mich um, und lies sie in keinen Wohnzimmer unserer Suite stehen. Ich wollte alleine sein doch Amelie lief mir hinterher und folgte mir ins Schlafzimmer. Noch bevor ich sie hinauswerfen konnte, holte sie etwas aus der Kommodenschublade. Es war ein antiker Dolch, mit dem sie danach auf mich zukam und ihn mir mit der Seite des aufwendig verzierten Griffes, entgegenhielt. Sie lächelte als sie sagte: „Hier, den habe ich extra für diesen Moment besorgt. Ich hoffe er gefällt dir.“

Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte. Aber dazu wäre ich ohnehin nicht mehr gekommen. Stürmisch schlang sie ihre Arme um mich, küsste mich und flüsterte sanft in mein Ohr: „Komm schon. Wieso hast du mich sonst in dein größtes Geheimnis eingeweiht? Doch bestimmt nicht um mir eines Tages beim Sterben zusehen zu müssten.“

Ja, sie hatte Recht, eines Tages würde sie Sterben. Der Moment käme, vielleicht schneller als mir Lieb war. Für sie erschien der Zeitpunkt vielleicht noch zu Fern um überhaupt richtig darüber nachzudenken, noch ein ganzes Leben lang. Aber für mich, der ein Jahrhundert nunmehr wie ein Augenschlag vorkam, was beutete mir die Dauer eines sterblichen Lebens? Nichts!

Alles was ich liebte, alles was mich seit langem wieder glücklich und lebendig sein ließ war zum Tode verurteilt. Und ich bliebe alleine mit meiner Trauer und Einsamkeit zurück. Ja, Einsamkeit, eigentlich war sie die einzige Gefährtin die ich besaß. Es sei denn…

Amelies weiche Wange schmiegte sich an die meine, ich roch den süßen Duft ihrer Haut, spürte die Wärme ihres Körpers durch den dünnen Seidenstoff ihres weißen Kleides.
Mein Gesicht grub sich in ihre goldenen Löckchen. Ich zog sie näher an mich heran und nahm den Dolch an mich. Zärtlich küsste ich die weiche Haut ihrer Kehle, wie automatisch bahnten sich meine Lippen den Weg an die richtige Stelle. Ein leises Seufzen entkam ihr als sich meine Zähne in ihr Fleisch gruben. Ich trank ihr Blut, fühlte ihren Herzschlag und mit jedem Schluck passte sich ihr Rhythmus dem meinem an. Als unsere Herzen dann schließlich im Einklang schlugen, glaubte beinahe den Verstand zu verlieren. Ich trank immer weiter, bis meines das ihre übertönte. Dann ließ ich von ihr ab und trug ihren beinahe leblosen Körper zum Bett und legte sie darauf. Mit letzter Kraft hielt sie die Augen geöffnet, ich durfte keine Zeit verlieren. Eilig legte ich mein Handgelenk frei .Dann nahm ich den Dolch und ließ seine Klinge tief in meine weiße Haut gleiten. Es kostete einige Mühe das unnatürlich feste Fleisch zu öffnen doch schließlich schaffte ich es und mein dämonisches Blut quoll heraus. Jetzt musste alles sehr schnell gehen. Bevor sich die Wunde wieder schließen konnte, presste ich Amelie mein Handgelenk an die Lippen: „Trink mein Liebes! Trink so viel du kannst!“ Ich gab ihr zurück, was ich ihr genommen hatte. Ihr Blut, vermischt mit meinem. Und so verschmolzen unsere Herzen erneut miteinander.

Ich wusste nicht wie lange ich sie schon vom Balkon aus betrachtete, aber es musste schon eine ganze Weile sein.
Schließlich zwang mich hinein zugehen. Die Verwandlung hatte Amelie sehr erschöpft. Sie schlief schon seit einer Stunde. Die Sonne ginge bald auf, wenn sie nicht bald erwachte, würde ich sie in unser, von jetzt an wohl gemeinsames Versteck tragen müssen. Sie hier lassen konnte ich nicht. Wo hier im Hotel doch tagsüber, die Menschen ein und ausgingen. Neben ihr, auf dem Bett lag noch immer der Dolch auf dem noch etwas von meinem Blut klebte. Seufzend setzte ich mich, mit dem Rücken zu ihr auf das Bett. Ich griff nach dem Dolch und drehte ihn spielerisch durch meine Hände. Ein wirrer Gedanke schoss mir durch den Kopf. Noch war es nicht zu spät. Der Prozess der Verwandlung war noch nicht abgeschlossen, dazu musste sie erst selbst menschliches Blut trinken. Noch konnte ein sauberer Stich durch das Herz, die Geburt eines weiteren Monsters verhindern. Aber was dachte ich da, ich liebte sie doch! Doch war es wirklich Liebe gewesen, das mich hierzu getrieben hatte? Oder doch nur Egoismus den ich mit dem Schleier der Liebe verdeckt hatte? Immerhin hatte ich ihr etwas angetan das vielleicht noch schlimmer war als der Tot. Eines Tages würde es Amelie auch klar werden. Möglicherweise brauchte es dazu nur ein paar Monate, Jahre oder erst Jahrhunderte. Doch ihre Liebe zu mir würde früher oder später in Hass umschlagen. Ebenso wie ich meinen Meister am Ende gehasst hatte weil ich durch ihn das hier geworden war. Egal wie man es drehte, am Ende war es immer das gleiche. Das einzige das blieb war Hass.

Hinter mir bewegte ich etwas. Sie war wach. Und als ich mich zu ihr umdrehte umarmte sie mich sogleich mit den Worten: „Jetzt gehöre ich dir! Ich liebe dich!“

Sie war immer noch das unschuldig wirkende Geschöpf das ich einst auf der dunklen Straße stehen sah. Doch in ihre Augen funkelten bereits wie die eines Raubtieres das bereit war los zuziehen um zu morden.

„Ich liebe dich auch, mein Engel“, meine Augen füllten sich mit Tränen als die scharfe klinge des Dolches in ihr Herz eindrang, „Deshalb werde ich es nicht zulassen das deine Weißen Flügel mit Blut befleckt werden.“

Mit weit aufgerissenen Augen sank sie in meinen Armen nieder. Meine blutigen Tränen tropften auf ihr Gesicht und hinterließen rote Spuren. Sanft schloss ich ihre Augen küsste sie ein letztes Mal und hauchte in ihr Ohr: „Verzeih mir.“



copyright © by Malicia. By publishing this on lesarion the author assures that this is her own work.



comments


Wow...
Kleine-Maja - 29.09.2005 23:54
Wirklich schön...
Larisha - 06.08.2005 21:21
-......-
-ohne Worte-
Chruffy - 03.08.2005 17:33
weiße Flügel
wuffel - 02.08.2005 07:29

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