Was aus Smalltalk alles werden kann (9)

von Mellimi


Schon 7 Uhr. Ich sollte mich langsam fertig machen. Schnell noch duschen, umziehen und dann kann’s losgehen. Was zieh ich nur an ? Ist es schon so warm für einen meiner Miniröcke ? Warm ist es, aber so warm ? Ach, sag ich mir, das passt schon. Minirock gehört heute zum Pflichtprogramm. Ich muss mich endlich ablenken von meinem Liebeskummer. Ich muss endlich mal wieder auf andere Gedanken kommen. Einfach mal abtanzen und die Blicke der Jungs auf mich ziehen. Blicke, die mir eigentlich überhaupt nichts bedeuten. Aber bei Liebeskummer helfen sie. Das schaff ich doch mit links. Und mit Minirock sowieso. Also gut.
Langsam kommt meine gute Laune wieder zurück, zaghaft, aber sie kommt. Na dann los. Erst noch bei Laura vorbeilaufen und sie abholen und dann den direkten Weg zur Stadthalle einschlagen. Katja werde ich erst dort treffen. Ihre Sachen legt sie da erst ab.
Um halb zehn treffen Laura und ich in der Halle ein. Es ist noch nicht viel los, aber auf der Tanzfläche kuscheln schon einige Pärchen zu langsamen Balladen. Na, hoffentlich hat der Dj mehr drauf, als das, und bringt später richtig Schwung in die Bude. Jetzt holen wir uns erst mal was zu trinken, bevor der große Ansturm losgeht. Wir setzen uns in eine ruhigere Ecke und reden. Ein bisschen Small-Talk. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich diese Art von Unterhaltung hasse ? Ich hasse sie wirklich. Wir reden über das Wetter und behalten die Treppe im Auge, auf der immer mehr Jugendliche nach oben strömen. Sie erzählt mir, dass sie noch auf eine Freundin wartet, die bei ihr übernachten wird.
Plötzlich taucht am obersten Treppenrand eine Cappy auf, die mir bekannt vorkommt. Mein Herz fängt an zu stocken und pocht nur noch unregelmäßig. Ich vergesse plötzlich zu atmen und warte, ob ich mit meiner Vermutung, wer unter dieser Mütze steckt, Recht behalte. Schon einen Moment später wird mir klar: Ich habe Recht. Diese Gesichtszüge, diese haselnussbraunen Augen mit dem sonderbaren Glitzern, diese langen, dunklen Haare, dieses hübsche Lächeln mit den umrahmenden, weichen Lippen – all das kenne ich nur zu gut. Es ist Sarah.
Da reisst mich meine Gesprächspartnerin plötzlich aus meinen Tagträumen. Sie springt auf und ruft "Da ist sie ja !" Es macht ganz den Anschein, als wäre Sarah, meine Sarah, die Freundin auf die sie gewartet hat, ihr Übernachtungsgast. Ein mulmiges Gefühl erfüllt mich.
Mein, gerade noch freudiges Strahlen erschlafft und mein Blick wird glasig und abwesend.
Sie darf nicht bei Laura übernachten. Wahrscheinlich wird sie auch die küssen und ihr anschließend das Leben zur Hölle machen. Und selbst wenn nicht. Ich liebe sie doch und sie gehört doch zu mir. Wir gehören doch zusammen, oder nicht ? Anscheinend nicht. Sonst hätte sie wohl mich gefragt, ob sie die Nacht über bei mir bleiben kann, und nicht Laura, mit der sie gar nicht so viel zu tun hat. Dachte ich jedenfalls bis jetzt immer. Hab ich mich da etwa getäuscht ?
Vielleicht sind sie schon längst ein Paar und ich hab nur nichts mitbekommen. Ich war ja so mit mir selbst beschäftigt. Vielleicht war ich nur blind vor Liebe. Aber eigentlich kann das nicht sein. Laura hat gesagt, sie ist eine Freundin und nicht ihre. Das ist ein Unterschied. Und eigentlich dachte ich immer, dass alle beide auf Jungs stehen. Also. Da ist bestimmt nichts weiter, was ich wissen müsste.
Aber wenn sie es schafft, mich eifersüchtig zu machen, dann kann ich das schon lange ! Ein Versuch ist es zumindest wert.
Ich gehe, ohne sie eines Blickes zu würdigen und ohne ihr zaghaftes "Hi" zu erwidern, auf die Tanzfläche. Glücklicherweise hat sich mein Wunsch erfüllt und aus den Boxen ertönt jetzt fetzige Musik, zu der es Spaß macht, sich zu bewegen.
Mein Minirock scheint seine geplante Wirkung auch nicht zu verfehlen, denn es dauert nicht lange, bis sich eine Traube gut aussehender Jungs um mich versammelt hat. Schon bald habe ich alles um mich herum vergessen und ich gebe mich nur der Musik hin, lasse mich von ihr tragen. Es macht Riesen-Spaß. Die Zeit vergeht wie im Flug. Irgendwann, so gegen halb zwölf, wechselt der Dj die Musikrichtung und steigt auf langsame Balladen um. Da beruhige ich mich zum ersten Mal wieder und beende mein wildes Rumgehopse. Beim Verlassen der Tanzfläche suche ich, immer noch außer Puste, nach Katja, Laura und den anderen.
Mit Katja’s schneeweißem Oberteil, das im Schwarzlicht so grell leuchtet, sind sie auch nicht zu übersehen und so geh ich zielstrebig auf sie zu. Kurz bevor ich sie allerdings erreiche, sehe ich, wie Sarah allein am Rand der Tanzfläche steht und mich ansieht. Ihre dunklen Augen bohren sich in meinen Verstand und die ganzen Emotionen, die ich gerade beim Tanzen vergessen konnte, lassen mich schlagartig wieder schwach werden. Ohne zu blinzeln erwidere ich ihren durchdringenden Blick. Auch wenn unsere Sichtlinie immer wieder durch tanzende Menschen unterbrochen wird, so wendet jedoch keine von uns ihren Blick ab. Wir stehen beide wie versteinert auf unseren Plätzen und kommunizieren per Blickkontakt.
Ich verstehe nicht wörtlich, was sie mir sagen will, aber ich spüre die Wärme und die Geborgenheit, die von ihrem Blick ausgehen und ich erkenne, dass wir reden müssen. Die Turmuhr schlägt. Es ist Mitternacht. Mit neuer Energie beflügelt bewege ich mich auf sie zu, ohne sie aus den Augen zu lassen. Mit jedem Schritt, den ich vor den anderen setze, wird mein Pulsschlag schneller und mein Kribbeln in der Magengegend stärker. Anhalten kann ich jetzt nicht mehr. Und noch ein Schritt. Endlich bei ihr angekommen versuche ich mit schwacher Stimme gegen die lärmende Musik anzukämpfen. "Kann ich mit dir reden?" Das ist die Botschaft, die sie scheinbar auch versteht, denn ihr ernster Gesichtsausdruck verwandelt sich in ein Lächeln. Ihre zarte Hand umfasst meine zitternde rechte, und zieht mich durch die vielen Jungs mit den hässlichen Fratzen zur Tür und dann nach draußen in die vorsommerliche Nacht.