Um LESARION optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern verwenden wir zur Auswertung Cookies. Mehr Informationen über Cookies findest du in unseren Datenschutzbestimmungen. Wenn du LESARION nutzst erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.




stories » details

Vorsätze, Nachsätze (2)

von healing_addict


Mit klammen Füssen setze ich mich im Bett auf. Esist noch dunkel vor meinen hohen Fenstern, sodunkel, dass die Dämmerung wohl noch eine ganzeWeile lang nicht aus ihrem Bett kriechen wird. Ichlege mich auch wieder hin, schließe die Augen undversuche, ruhig ein und aus zu atmen. Der Versuchbleibt wirkungslos, statt dessen schweift meinBlick durch dem Raum, ohne etwas zu sehen. Obwohlmir kalt ist, steige ich dann doch aus meinenDecken, gehe zweckgebunden auf die Toilette, überden gefliesten Flurboden an dem meine nacktenFußsohlen bei jedem Schritt haften bleiben. Im Klomache ich nicht mal Licht an, nur schnell wiederin mein Zimmer will ich. Oder eigentlich will ichmeine Ruhe, genau, ich will allein sein. Beimeiner Rückkunft setze ich mich auf meineBettseite an den Rand der Matratze und ziehe dieBeine an meinen Oberkörper. Drapiere die Decken ummich, es zieht vom Fenster kalt herüber. So sitzeich und blicke auf die Schlafende neben mir, eineFremde in meinem Bett. Oder bin ich selbst dieFremde? Ich weiß noch ihren Namen und was siegestern Abend getrunken hat. Warum wir hierzusammen gelandet sind, ist mir entfallen. Siesieht ja irgendwie sehr nett aus, aber mir wäre sorecht, wenn sie jetzt ginge. Soll ich sie weckenund um viertel vor fünf nach Hause stoßen?Üblicherweise mache ich das nicht, entweder einegeht noch vor dem Schlafen oder eben morgens, voroder nach einem Frühstück. Heute hätte ich gerne,dass diejenige geht, jetzt. Ich weiß nicht, wiemit dieser hier umzugehen, wie würde siereagieren? Weder Streit noch vor dem Kopf Stoßenist meine Art bei dieser Art Begegnungen. Eskönnte ja sein, dass sie nicht wach zu kriegenist. Oder dass sie versucht mich zu überreden,doch noch bleiben zu können, weil sie nicht gehenwill. Abrupt stehe ich auf und lasse sieweiterschlafen, ich setze mich in meine Küche anden Tisch und lege meine Hände vor mich auf dieTischplatte. Betrachte sie. Das sind meine Hände.
Mir fällt ein, dass meine Füße kalt sind und ichstehe eine Minute später auf und lasse Wasser inden Kocher laufen. Ein wenig warten muss ich, dannkann ich den Beutel mit Rooibusch übergießen unddann noch ein paar wenige Minuten später habe icheine warme Tasse Tee.
Die Morgenzeitung ist noch nicht da, ich lese diegestrige. Still ist die Nacht noch ziemlich langevor dem Küchenfenster draußen, nichts bewegt sich.
Mit den Knien angezogen döse ich auf dem Holzstuhlein. Um acht Uhr dreißig ist es hell, ich steheauf und schaue auf leisen Sohlen in mein Zimmer,da zieht sie sich schon an und guckt betreten zumir rüber. Sorry, mir war nach Alleinsein, sagich. Sie kuckt nur mit einem Blick, den ich nichtverstehe. Dann weck mich doch, sie. Okay. Ichgreife nach meine eigenen Sachen und bemerke, ichhabe noch immer die Teetasse in der Hand. Stellesie auf dem Fensterbrett ab, ziehe mich an.Überraschenderweise umarmen wir uns beim Abschiednicht. Sie verlässt meine Wohnung und verschwindetdie Treppe hinunter. Ich bemerke dabei, mir istwarm geworden.

Meine Armbanduhr mit Digitaldisplay zeigt an, dass'cum tempore' schon seit einigen Minuten vorbeiist. Es ist Anfang Dezember, ich sitze im brechendvollen Seminarraum mit Leuten unbekannterStudienrichtung und ärgere mich. Weil Andrea malwieder nicht auftaucht. Das kenne ich schon, istnicht das erste mal, dass sie die Sitzung nichtwahrnimmt. Wozu bringe ich ihr den Text zumKopieren noch extra vorbei, wenn sie dann nichtmal auftaucht? Scheint eine ihrer Eigenschaften zusein, sich verspäten. Das hält sie für cool oderzeigt allen, wie ach so beschäftigt sie doch ist,weil studentisch so was von engagiert Tag undNacht und am Wochenende. Da ist ein Zuspätkommeneben zu erwarten. Das Thema des Seminars langweiltsie noch dazu, womöglich. Und überhaupt, einenbesseren Überblick über den Raum hat sie nochdazu, wenn auch nicht mehr die freieSitzplatzwahl. Neben mir wäre heute noch einerfrei, zufällig. In der vordersten Reihe desRaumes, wo sie sich bisher immer hinsetze. Seitich und sie gemeinsam diese Veranstaltungbesuchen, saß sie dort, wenn sie denn überhaupt dawar. In der vordersten Reihe, seitlich. Ichbevorzuge ja die Mitte, den Abstand zu demGeschehen, das im Grunde vorne stattfindet. EinPlatz wäre heute frei, falls sie käme. Ich wolltedie Wahrscheinlichkeit dazu erhöhen, sie quasidaran erinnern, dass die Möglichkeit bestünde, mitmir die Stunde im Seminar zu verbringen. Also habich ihr Texte vorbeigebracht, die sie sich von mirkopieren wollte. Hab ich ihr ungefragt in dieStudierendenvertretung getragen. Dort stand siedann über mein Auftauchen überrascht mit den Armenverschränkt vor mir herum und hat sich dann demKopierer zugewandt, durch den die Seiten meinerTexte ratz-fatz durchgesaugt wurden. Viel zuschnell, fand ich ja. Ich daneben lässig an denTürrahmen gelehnt, ihr in die Augen gesehen. Siesenkte den Blick sehr schnell. Lächelte aberdabei. So auf diese eigenartige Weise. Hey, siesteht auf dich dachte ich. Ich musste bald gehen,denn mein Grund in der Stuve aufzutauchen war mitdem Verstummen des Kopiergerätes vorbei. Und jetztkommt sie nicht, was soll das heißen. Nun,vielleicht war ich zu offensiv und sieinteressiert sich sowieso nicht für mich inkeinster Weise. So ein Lächeln kann alles heißen.
Was weiß ich ob sie deswegen nicht auftaucht.
Dumme Nuss. Wenn sie jetzt noch kommt, dann sitzeich neben ihr in der ersten Reihe, viel zu nahevor der Referatsgruppe und dem Professor, und binzusätzlich auch noch in geladener Stimmung – waskönnen wir davon denn haben?
Die Uhr zeigt bei meinem nächsten Blick an, es istlängst halb vorbei und damit auch meine Hoffnung,dass sie sich doch noch zur Tür hereindrückt. Ichklebe also allein ganz vorne mit der Stirn an derReferatsgruppe, die ihr schwach aufbereitetesThema nicht systematisch in unsere halboffenenKöpfe einflößen kann. Ich weiß nicht mal, um wases sich drehen soll. Auf ihrem Handout stehtnachzulesen, worüber sie referieren sollen:
Erleben und Erfahren der Individualisierung. Aha.
Ein Mann aus der zweiten Reihe erzählt von seinenNeffen, ich verstehe nicht, was das zur gegebenenFragestellung beiträgt. Das tut aber nicht vielzur Sache, dieser Mann hat jede Stunde von seinenNeffen zu berichten. Oder von seiner Großmama. DiePersonen der Referatsgruppe wissen nach ihremkurzen Vortrag nicht weiter mit ihrem Thema, wasich hier vorne an ihren Gesichtern ablesen kannohne es zu wollen und daher zum Fensterrausblicke, um die Schweißtröpfchen auf ihrenStirnen nicht zu zählen anzufangen. Ich rutschemit meinem Stuhl soweit zurück, wie es geht, stoßean der Tischkante hinter mir an und bleibe mitausgestreckten Beinen auf dem Stuhl sitzendhängen. Eine Frau aus der Referatsgruppe regt an,dass wir Gruppengespräche zum Thema Erleben derIndividualisierung machen sollten. Sie haben dasWort noch nicht einmal definiert. Jemand sagt, dassei sinnlos ohne das vorher zu klären. Es wirdnicht zur Kenntnis genommen. Wir reden also invorgegebenen Kleingruppen. Ich rede nicht, ichrege mich auf. Das bringt doch alles nicht weiter.Das interessiert aber niemanden aus meiner Gruppe,sie erzählen sich irgendwas. Dann ist dieGruppenzeit um. Keine der Seminarteilnehmenden hatLust, die gemeinsamen neuen Informationen demgesamten Seminar mitzuteilen. Die Gruppe vornebleibt ratlos schweigend sitzen. Der Nervtötendein Reihe fünf allerdings hat etwas beizutragen. Erstellt wie immer seine komplizierten Fragen, wasstudiert der noch mal. Pädagogik, glaube ich. Erstellt pädagogische Fragen, die hier so auf dieseWeise nichts zu suchen haben. Die dann derProfessor versucht, zu beantworten, nein,zufrieden zu stellen. Psychologisch, passend zurFachrichtung des Seminars. Bewundernswert, wie erdas macht, diesem Mann etwas zu sagen, was dieserhören will und gleichzeitig zum Thema der Stundezurückzuführen. Ein Kunststück. Damit verbringenwir den Rest der Doppelstunde. Ein Resüme fälltdem Professor heute allerdings keines ein.
Die zuletzt sehr schweigsame Referatsgruppe stehterleichtert auf, als der Gong ertönt, stellt ihreStühle brav an die Tische zurück und verlässteilig und geschlossen den Raum. Das tun auch alleanderen, die die Stunde sichtlich nicht mehrinteressiert hat als mich. Alle gehen hinaus.
Enttäuschung drückt mich mit einem Mal auf meinenStuhl, Arme und Beine wie aus Blei. Ich sitze mitkrummem Rücken, mein Blick klebt auf dem grauenTeppichboden neben meinen Füßen. Ich bin alsLetzte noch da in dem großen, leeren Raum, der vorStille nur so dröhnt.



copyright © by healing_addict. By publishing this on lesarion the author assures that this is her own work.





vivalavita: 30 Karat Karneval - Freitag 28.2. - 20 Uhr in Kölle - 2 Floors - Karneval - Dance/Charts - Instagram 30 karat deluxe      +++     >>> Get a ticker message for just 5,95€ for 3 days <<<