von bloodynatou
Sie saßen alle zusammen am Frühstückstisch, als Emilie Mary erzählte, dass sie danach mit Anne zum Krankenhaus fahren würde. Mary freute sich natürlich für ihre Freundin und bat sie darum, Grüße auszurichten.
Emilie konnte es kaum erwarten und machte Anne im Bus schon vollkommen verrückt mit ihrer Nervosität. Sie waren beide froh, als sie in Eupen ausstiegen und zielstrebig das Krankenhaus ansteuerten. Emilie brauchte nicht mehr zu fragen, in welchem Zimmer Kerstin zu finden war.
Dieses Mal hatte sie keine Lust und Zeit, auf den Fahrstuhl zu warten und nahm die Treppen in die zweite Etage. Sie stieß die Verbindungstüre auf und hörte hinter ihr eine etwas keuchende Anne, die versuchte, mit Emilie Schritt zu halten.
„Ich warte dann hier auf dich. Wenn sie wach ist, ruf mich bitte. Ich würde sie auch gerne kurz sehen.“
Mit diesen Worten ließ sie sich auf die Wartestühle fallen und holte erst mal tief Luft.
Emilie war indes schon an ihrem Ziel angekommen. Auch sie atmete noch einmal tief durch und öffnete dann die Türe. Plötzlich sank ihr Herz in die Hose.
An Kerstins Bett saß eine hübsche junge Frau und hielt deren Hand. Sie war wach und lächelte die Unbekannte an. Emilie spürte die Vertrautheit zwischen den Beiden und in ihr verkrampfte sich alles.
Sie spürte, wie ihre Wangen anfingen zu glühen und die Tränen sie zu übermannen drohten.
Als Kerstin merkte, dass jemand hinein gekommen war und ihren Kopf langsam gen Eingangstür drehte, war ihr Lächeln sofort verschwunden. Sie schaute in das erschrockene Gesicht von Emilie und ihre Gefühle spielten verrückt.
Sie wollte sofort aufspringen und zu ihr laufen, doch sie war noch zu schwach und sie wusste, dass sie es nicht tun konnte wegen Alex, dann würde sofort alles auffliegen. So lag sie da und schaute sie weiterhin an.
„Emilie…was…“
Emilie ließ die Türklinke zurückschnappen und rannte fluchtartig aus dem Zimmer. Sie hörte nur noch die Unbekannte ‚Wer war denn das?’ fragen.
Anne wusste nicht, was vorgefallen war. Emilie war doch gerade erst in das Zimmer gegangen. Als Emilie gerade an ihr vorbeilaufen wollte, hielt sie sie fest und wollte wissen, was passiert sei, aber Emilie brachte kein Wort raus.
‚Na toll, die ganze Fahrt umsonst’, dachte Anne und ging mit Emilie all die Treppen wieder hinunter zum Ausgang um gleich darauf wieder zurück zu fahren.
Anne gewöhnte sich schon langsam an Emilies verrücktem Verhalten. Sie versuchte gar nicht erst, es zu verstehen. Sie würde es eh nicht schaffen.
„Kerstins Freundin war bei ihr“, beantwortete Emilie Annes in Gedanken gestellte Frage.
„Oh…das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass…“
„Ist schon gut. Ich wusste es, aber es zu wissen und die Beiden zusammen zu sehen ist etwas anderes.“
„Ja, das ist klar. Deshalb bist du so schnell abgehauen, jetzt versteh ich.“
„Es tut mir leid. Schließlich fährst du schon extra den ganzen Weg mit mir und dann so etwas.“
„Ist schon ok. So kommen wir auch früher zurück und können uns den anderen anschließen.“
Der Bus ließ sie an der gewünschten Haltestelle raus und sie nahmen die Abkürzung durch kleinere Wege zum Lager. Als Olli und die anderen sahen, schauten sie verdutzt drein.
„Schon zurück? Wie kommt das denn?“
„Ihre Freundin war da…“
Mehr brauchte Emilie nicht zu sagen, alle herum verstanden es und hielten alle weiteren Fragen für überflüssig.
Olli teilte Emilie in eine der Gruppen ein und schickte einige von anderen Gruppen zu Anne, die sich schon wie alle anderen irgendwo auf der großen Wiese breit gemacht hatte und die Karteikarten, die Olli ihr gegeben hatte, sortierte.
Wie gesagt, sollte es heute ein relaxter Tag werden und so hatten die Leiter beschlossen, eine Diskussionsrunde zu starten. Jeder hatte auf den Karteikarten einige Fragen und Themen, die er in die Runde werfen sollte und über die dann ernsthaft diskutiert werden sollte. Die ersten Gruppen bestanden aus nicht mehr als sieben oder acht Personen, doch nach einer Weile wurden Gruppen zusammen gesetzt um die Diskussionen auszubreiten.
„Und wie bitte denkst du dann, dass die Erde entstanden ist? Etwa, dass irgendein komisches Männchen da oben mit dem Finger geschnippt hat und paff war sie da? Ich bitte dich, solch eine Idiotie, die gibt’s kein zweites Mal.“
„Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte lediglich, dass es eine höhere Macht gibt, die für viele Dinge hier verantwortlich ist. Unser Leben, unsere Zukunft und ja, auch mitunter für die Grundexistenz dieser Welt.“
„Also doch, siehst du, du hast es gerade wieder bestätigt. Ich weiß ja nicht, wie oft man euch das noch erklären soll, aber es gibt eine absolut klare, bewiesene Entstehungsgeschichte der Erde.“
„In die Wissenschaft zu vertrauen und an sie zu glauben ist das gleiche Prinzip wie der Glaube an Gott oder eine höhere Macht. Du kannst dir nie vollkommen sicher sein. Du kannst nur auf sie vertrauen. Du spürst, dass dies für DICH richtig ist, aber du kannst es nicht absolut als DAS Richtige bezeichnen. Man muss jeden so leben lassen, wie er es für richtig hält.“
„Und genau das bringt uns zu unserem nächsten Thema,“ unterbrach Jörg das Geplapper der Streithähne. Leider wusste er nur zu gut, dass das nächste Thema genauso heikel war.
„Wie Emil gerade schon bemerkte, sollte man jeden Menschen so leben lassen, wie es ihm richtig erscheint. Wie steht es denn mit Homosexuellen?“
Sofort brach über ihm eine Welle lautstarker Diskussionen ein. Er musste sich sogar schon die Ohren zuhalten und wie er da so saß, blickte er in die Runde und sah, wie Emilie etwas betreten auf ihre Hände starrte, die unruhig in ihrem Schoß lagen.
„Wir haben so ne Schwuchtel in unserer Klasse. Ich könnte echt kotzen, jedes Mal, wenn ich ihn sehe.“
„Dafür muss man nicht schwul sein. Ich habe genau das gleiche Verlangen, sobald ich DICH sehe.“
Mary war in Rage gekommen während dieser Diskussion. All diese Idiotie, die vor allen Dingen aus den Mündern der Jungs kam, war zu viel für sie. Sie verstand nicht, wie man einen Menschen dafür verurteilen konnte, weil er das gleiche Geschlecht liebte. Sie hatte auch Emilie nicht verstoßen können. Wieso denn auch?
Unterstützung bekam sie von den Leitern und einigen anderen Gleichgesinnten, darunter Stoffel. Auch diese sprach kräftig gegen die Ignoranten und verteidigte ihren Standpunkt.
Heraus kam jedoch nichts bei dieser Diskussion, da sie die anderen nicht wirklich davon überzeugen konnten, dass es auch noch andere Wege von Liebe gibt als nur die heterosexuelle.
So würde es wohl immer sein. Selbst in Jahrzehnten wird es noch Menschen geben, die diese L(i)ebensart nicht zu akzeptieren wissen. Es tut ihr nur sehr leid für ihre beste Freundin. Sie konnte sich nur ausmalen, was noch alles auf sie zukommen würde und am liebsten hätte sie ihr einen Teil der Bürde abgenommen. Auch wenn dies unmöglich für sie war, so wusste sie doch genau, dass es Emilie schon helfen würde, wenn sie einige gute Freunde an ihrer Seite hatte, die sie nicht für das verurteilten, was sie war.
Bevor es noch zu einer Schlägerei kommen konnte, die beinahe angezettelt wurde aufgrund der Aggressionen, die sich hier aufgestaut hatten, hatten die Leiter abgebrochen und schickten alle in ihre Zelte um sich noch ein wenig selbst zu beschäftigen bis das Mittagessen fertig war.
„Und wehe, ich bekomme mit, dass sich hier irgendjemand kloppt, dann geht’s rund, verstanden?“
Olli hatte sich vor ihnen aufgebaut und schaute mit ernster Miene in ihre Gesichter. Er wurde nicht oft sauer, aber war es einmal, so sollte man ihm besser aus dem Weg gehen.
Als dann soweit alle in ihren Zelten verschwunden waren, atmete er einmal tief durch und ging ins Kochzelt um schon mal vorab in die Kochtöpfe zu spinsen.
Emilie und Mary hatten sich mit ein paar Freundinnen in ihrem Zelt zusammengesetzt und spielten Karten.
Natürlich war eins der Hauptthemen immer noch die Diskussion von vorhin. Emilie hatte noch immer kein Wort dazu gesagt und spielte einfach stumm weiter, obwohl sie nur allzu gern etwas gesagt hätte.
„Also, eins sag’ ich euch, dieser Henry ist so etwas von schwul, da kann mir keiner was sagen. Er wurde knallrot, als Jörg mit dem Thema anfing und hat kein Wort mehr geredet.“
„Und hast du gesehen, wie Alain ihn angeschaut hat? Meine Güte…wenn da mal nichts läuft!“
„Na, wenn du danach gehst, dann sind die Beiden sicher nicht die Einzigen. Nicht wahr, Emilie?“
Tina schaute sie von der Seite aus an und grinste hämisch. Emilie war dies natürlich nicht entgangen, doch sie versuchte, sich irgendwie aus der Sache herauszuwinden. Sie schaute überrascht in die Gesichter der Anderen.
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