von maweka
Tote weckt man nicht
Die Halle ist groß und kalt, kein Heizkörper weit und breit. Hier gibt es keinLicht mehr, schon lange haben die Elektrizitätswerke den Strom gekappt. Ichweiss nicht, wem diese Halle mal gehört hat, welche Firma hier einmal produzierthat. Es stehen überall Webstühle herum, in Reih und Glied, eine nach deranderen, stehen sie da, wie eine Kompagnie bereit zum Abzug in dem Krieg. Eshängt kein Schild mehr drausen, nur die Neonröhren, die es einmal beleuchtethaben müssen, sind noch da, zerbrochen von Kälte und Stürmen, wahrlich keinangenehmer Ort zum Verweilen. Ich bin mitten in der Nacht aufgeschreckt,vollkommen schlaflos, nicht mehr im stande meinen Schlaf wieder zu finden. Ichhabe nach meinen Schlaftabletten gesucht und musste feststellen, dass sieaufgebraucht waren. Schon zu lange schlage ich mich mit diesem Problem rum.
Immer wieder gegen halbfünf bin ich wach, hellwach und kann nicht mehrschlafen. Heute habe ich es aufgegeben den Schlaf zu suchen, bin aufgestandenund habe angefangen zu rennen, als ich die Haustür verließ und meine Füße habenmich hierher geführt, in diese Halle. Weitab vom Schuss, hier liegt nichtsherum, außer alte Industriegebäude. Diese Industriehallen sind das Leben vonfrüher gewesen, sie waren einst wie lebende Organismen, alles funktionnierte,jedes zahnrad hat ins andere gegriffen, jede hand in die nächste gearbeitet undsie produzierten und produzierten. Das Zischen des Schiffchens, wenn es durchdie Kettfäden fliegt, hat hier einmal das Tempo bestimmt. Und jetzt erinnern nurnoch die letzten Fäden und ein paar Plakate an der Wand an das alte Leben dieserHalle. Sie ist leer und leblos und ihre Existenz grenzt an Nutzlosigkeit. Ichweiss nicht, warum ich die Richtung des alten Insustriegebietes eingeschlagenhabe, aber als ich am Ende der strasse die offenen Tür gesehen habe, hat michdie Neugier hier her geführt. Und jetzt stehe ich hier, mein Blick schweiftdurch die alte Halle und die ersten sonnenstrahlen lucken durch die verstaubtenFenster, ich kann die einzelnen Staubpartikel sehen, wie sie beim leichtestenWindhauch durcheinanderfliegen, um sich dann ein wenig später wieder zu ordnen. In mir kehrt wieder Ruhe ein, mein Puls wird langsamer. Ich höre meinen Atmen,Blut rauscht in meinen Ohren. Es ist still hier, nichts regt sich mehr, es istalles tot... Nur ich, ich lebe noch. Wie oft war es wohl schon so? Alles isttot, nur in mir flammt noch ein letztes verzweifeltes Mal Leben auf, um siealle wieder hochzureißen, um wieder an einem Strang zu ziehen, aber Tote wecktman nicht, das geht nicht. Man kann sie auch nicht durch lange Trauerkonservieren, man kann sie in Erinnerung behalten, aber mehr auch nicht.
Tote... Man besucht deren Gräber, wie diese Halle hier eines ist, man besuchtderen Urnen, die vielleicht irgendwo in irgendeiner Wohnung an irgendeinem Ortauf dieser großen, runden Erde auf einem Kaminsims stehen. Auch diese Halle hierkann man nicht mehr erwecken, zu alt sind die Maschinen, zu verkommen der Raum.
Vielleicht könnten ein oder zwei von den Webstühlen an ein Museum gestiftetwerden, aber der Rest würde als Schrott enden. Ein leichter Luftzug streift meinGesicht. Ich höre hinter mir, wie ein Plakat herunterfällt.
Es wird Zeit zu gehen, vielleicht finde ich doch noch ein oder zwei StundenSchlaf. Ich gehe zur offenen Tür, dahinter geht jetzt langsam die Sonne auf underweckt die Welt zu neuem Leben, nur hier wird alles ruhen, an diesem Ort. Eswird ein langer Heimweg. Auf mich wartet ein Leben, auf diese Halle vermutlichnicht mehr. Ich drehe mich am Ende der Straße ein letztes Mal um, betrachtet dashohe Ziegelgemäuer, wie es blutrot in der Sonne schimmert und male aus, wieschön es wäre morgen mit ein paar freunden und viel farbe hierher zu kommen unddas gemäuer wiederzubeleben, aber das geht nicht, denn Tote weckt man nicht.
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