von Corona
Spätzünder
Sooooo lange ist mein Coming-Out eigentlich noch gar nicht her ...Wann ich definitiv geschnallt habe, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle,kann ich gar nicht genau sagen. Jedenfalls war ich der absolute Spätzünder.Alle schienen es schon vor mir gewusst zu haben und im Nachhinein, wenn ichmich mal so allgemein zurück erinnere, ... also, da hätte ich ja nunwirklich eher drauf kommen können.
Im Sommer 1999 zog ich aus dem schönen Sauerland in die große weite Welt nach Köln. Damals habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, ich könne vielleicht,eventuell, möglicherweise "lesbisch" sein, aber ich musste für michpersönlich einfach den definitiven Beweis haben.Männer hatte ich schon gehabt, wenn ich bis dahin auch noch mit keinemgeschlafen hatte. Allerdings hat mir immer das gefehlt, wovon viele meinerFreundinnen immer so geschwärmt haben ... Küssen sei ja soooooo toll ... unddieses Kribbeln überall dabei ... und überhaupt und außerdem ...Händchenhalten, in den Arm nehmen und einfach Kuscheln ... das war keinProblem, aber was darüber hinaus ging ...Bei mir hat überhaupt nichts gekribbelt, beim Küssen schonmal gar nicht,denn das fand ich einfach nur widerlich (ich finde Männer sabbern immer sobeim Küssen ... will das jetzt nicht verallgemeinern, aber die, die ichgeküsst habe, uäh, schüttel).Auf der Suche nach dem richtigen Mann, hatte ich mich schon längst in einigeFrauen verguckt ... war aber nie was Ernstes. Ich habe daraus in Köln auchnie ein Geheimnis gemacht. Meine Freunde hier wussten, dass ich mich auch zuFrauen hingezogen fühlte, aber ich wollte mir einfach sicher sein, um esmeinen Eltern sagen zu können. Ich wollte mir einfach sicher sein, wo ichhingehöre.
Eine Woche nach meinem Umzug in die große weite Welt, lernte ich Peterkennen und dachte mir - "Wow, sieht der gut aus! Auf was für Frauen derwohl steht?" Noch in der selben Nacht landeten wir im Bett und ich dachtemir ... na, wenn das alles ist, dann kann´s das nicht sein. Wir waren einigeWochen zusammen und irgendwann verbrachten wir ein verlängertes Wochenendebei meinen Eltern im Sauerland. Danach war ich mir dann hundertprozentig sicher,nein ... nein ... nein ...kein Mann, jedenfalls nicht dieser.Trotzdem ließ ich das immer noch nicht Beweis genug sein, um einfach in dieWelt hinauszuposaunen, dass ich lesbisch bin.Ja, ja, warum einfach, wenn´s auch schwer geht.Am 16./17. Juni 1999 passierte es dann. Ich war mit meinen zwei Freundinnen Tinaund Diana, aus meinem damaligen Schauspielkurs auf Tour. Natürlich nur inLokalitäten, wo sich das lesbische Partyvolk aufhielt. Ich hatte es andiesem Abend irgendwie ziemlich auf Diana abgesehen und ging den ganzenAbend vollkommen in meinen Umwerbungstaktiken auf:
(mal so unter uns, wennmich eine Frau auf diese plumpe und machohafte Tour angraben würde, wie iches damals bei ihr tat, ich würde die Beine in die Hand nehmen und rennen...weiß auch nicht, was für einen Film ich da abgespult habe ...)
aber meinObjekt der Begierde blieb standhaft undvergnügte sich lieber mit anderen Frauen. Doch ich gab nicht auf. Alsirgendwann nichts mehr los war, schlug Tina vor, dass wir ja noch bei Andreavorbei schauen könnten. Andrea ist meine beste Freundin, hetero (überwiegendjedenfalls, würde ich sagen) und Tina hatte sie einen Abend zuvor kennengelernt.Sie war Feuer und Flamme. Bei Andrea angekommen, ging es eigentlichziemlich schnell zur Sache. Tina wollte unbedingt Andrea küssen, die es jaeigentlich auch mal gerne ausprobieren wollte, aber keiner von beiden trautesich. Ich konnte währenddessen nicht die Finger von Diana lassen, diepausenlos vergeblich vor mir auf der Flucht war (flüchtet mal in einem 18qm - Zimmer). Dann schlug Tina vor, wir könnten Flaschendrehen spielenund die beiden, auf die die Flasche nacheinander zeigt, müssen sich küssen.Der allgemeine Beifallsjubel fiel nicht gerade frenetisch aus, aber wirließen uns alle darauf ein und ich befürchtete panikerfüllt, gleich meinebeste Freundin küssen zu müssen und war von dem Gedanken alles andere, alsangetan.Die Flasche drehte sich, wurde langsamer und zeigte auf Andrea ... dieFlasche wurde wieder gedreht ... und zeigte genau zwischen mich und Diana... ich sah meine Befürchtung schon Wahrheit werden ... nochmal drehen ...wieder zwischen mir und Diana ... Nerven fast am Ende ... und dann, nachdemdie Flasche nochmal in Schwung gebracht wurde, zeigte sie nach einigenDrehungen direkt auf Tina ... puh ... erleichtertes Ausatmen meinerseits.Tja ... aber irgendwie verließ die beiden Auserwählten dann wohl doch derMut und sie küssten sich nicht, jedenfalls nicht sofort. Das Spiel wurde fürbeendet erklärt und wir unterhielten uns. Ich hatte mich nach kurzer Zeitmit Diana festgequatscht (ja, gequatscht, alles andere hatte ich endlichaufgegeben). Plötzlich fiel mir auf, dass ich nur noch uns beide reden hörteund warf einen Blick zu Tina und Andrea, die sich doch tatsächlichknutschenderweise in den Armen lagen. Hmmm ... Diana und ich ruderten sozwischen verwundert, amüsiert und aus Verlegenheit resultierendemKommunikationszw ang, aber wir merkten beide, dass unsere Unterhaltung einfachkeinen Sinn mehr machte. Ob das der Grund für Dianas nächste Reaktion waroder was auch immer, weiß ich nicht. Ich habe sie auch nie danach gefragt.Jedenfalls stürzte sie sich urplötzlich auf mich und wir begannen, uns zuküssen.
Ich küsste eine Frau ... und zum erstenmal spürte ich es ... dieses Kribbeln,von dem alle immer sprachen ... das war es ... DAS war es. Es war einfach... ich weiß nicht ... einfach toll und das hatte mir bisher gefehlt.Am Morgen gingen Diana und ich einen Kaffee trinken und sie sah michkopfschüttelnd und kaffeeverschüttend an und sagte: "Ich fasse es nicht, dass ich mich mit so einer schlechten Anmache habe rumkriegen lassen!" (darübermuß ich jetzt noch grinsen, fasse es nämlich bis heute selbst nicht) unddamit blieben wir das, was wir waren - Freunde.
Nun hatte ich endlich meinen Beweis... ich bin lesbisch und ich fühlte michso gut, wie schon lange nicht mehr.Am Sonntag darauf besuchten mich meine Eltern in Köln. Es war der 18. Juni1999 und ich hatte alles andere, als ein Outing im Sinn, aber nicht so meinebeste Freundin Andrea - immer um mein Wohlergehen bemüht.Ich hatte vor, mit meinen Eltern in meinem Stammlokal zu frühstücken. Aufdem Weg dort hin, gingen wir bei Andrea vorbei, da sie ein sehr gutesVerhältnis zu meinen Eltern hat, diese duzt und eigentlich schon zur Familiegehört. Andrea war noch ziemlich verpennt (es war ja auch erst um dieMittagszeit) und versprach, nach zu kommen.Das tat sie dann auch und kaum, dass sie neben mir am Tisch saß:
- "Na ... hast du´s ihnen schon gesagt?"
- Ich mal wieder keinen Plan: "Was?"
- "Na, dass du lesbisch bist ..."
- "Schluck"... oh nein, kriegen das meineEltern jetzt auch nicht mit, ... gut, sie unterhalten sich ...
- "Nein!" - "Du sagst es ihnen aber noch?"
- "Nein!!! Hatte ich heute eigentlich nicht vor!" (zitter, bibber,vor-sich-her-schieb)
- "Wetten, die wissen´s sowieso schon?!"
- "Ich sag´es ihnen heute nicht!"
- "Na gut, wenn du es nicht machst, dann mach ich es eben ...", sagte siezum guten Schluss und grinste mich an.
Na prima, ich wusste, sie würde es tun, ich kannte sie nur allzu gut undwar mir so sicher:
sie - würde - es - tun.
Oh, was hatte ich die Hosen voll.Ich habe keine Ahnung, wie Andrea es immer wieder schaffte, das Gespräch aufdas Thema -lesbisch- zu lenken, obwohl ich mich krampfhaft bemühte, dasThema mehr oder minder erfolglos zu wechseln. Immer wieder kamen wir aufdieses eine Thema zurück. Andrea tischte meinen Eltern natürlich brühwarmauf, dass sie eine Frau geküsst hat und, und, und ... ich versuchte immerwieder abzulenken ... so ging es eine ganze Weile. Irgendwann gab ich esauf. Meine Eltern schien das Thema sehr zu interessieren. Mein Papa gingvollkommen interessiert in seiner Theorie auf, dass Frauen sowieso, sexuellgesehen, viel besser zu einander passen, weil eine Frau ja viel besserwissen muß, was einer Frau gefällt, als ein Mann es wissen kann ... er könnesich zwar nie im Leben vorstellen mit einem Mann, aber zwei Frauen ... (Ja,ja, mein Papa!)Meine Mama kramte dann aus, dass sie auch mal eine lesbische Bekannte hatte,von der sie mal in eine Lesbenkneipe geschleppt wurde und dort auch promptvon einer Frau angebaggert wurde. Andrea hielt das Gespräch weiterhin mitihrer Tina-Knutschaktion am laufen und sagte, sie sei sich Hundertprozentsicher, hetero zu sein ... und ohne Männer ginge ja bei ihr nix ... und beiner Frau fehlten einfach die kratzigen Bartstoppeln ..."Kann ich auch gut drauf verzichten!", rutschte mir raus.Meine Mama sah mich an, legte eine Hand auf meinen Arm - "Hast Du denn auch ne´Freundin?"Erwartungsvolle Stille.- "Na nun sag schon ...", sagte sie ganz ruhig.Ich druckste ewig lang herum ... ich ... nein, aber ... ich ... (Tränenunterdrück) ...- "Ist doch O.K. ... meinst Du, uns wäre das noch nicht aufgefallen?"Mama sah Papa an: "Siehste, hab´ich dir doch gesagt!"Ich hatte das Gefühl, der halbe Biergarten nahm schon an unseremGesprächskreis teil.Papa: "... hä ...was?"- "Na, ich hab´dir doch gesagt, wenn Antje mal ne vernünftige Beziehungführt, dann mit ner Frau!"Dann kam noch, ich bin ihre Tochter und werde es auch immer bleiben und soweiter und das Gespräch ging weiter, als wäre nichts gewesen. Meine Elternbrachten weiter ihre sämtlichen Erfahrungen mit homosexuellen Freunden aufden Tisch. Andrea hatte sich in den Kopf gesetzt, meinem Vater zuentlocken, dass er bestimmt auch mal gerne mit einem Mann ... und dass er ihrnicht erzählen könne, er habe noch nie darüber nachgedacht und was weiß ichnoch alles.Ich beteiligte mich anfangs minimal an dem Fortlauf dieses Gesprächs, dennich dachte, dass ich mich wohl im falschen Film befinden muss und wusste nicht,ob ich vor Erleichterung losheulen sollte, oder mich vor lauter Überraschung undvor Lachen mal eben unter den Tisch werfe ... ich war nass geschwitzt, meineKnie zitterten immer noch ... wo war das erwartete Entsetzen, der Krach,das Drama, die Verbannung aus der Familie, inklusive Enterbung?!?Andrea grinste von einem Ohr zum anderen:"Ich hab´dir doch gesagt, die wissen das!"
Meine Eltern erzählten es meiner Oma und ihren engsten Bekannten. Heute kann ich mit allen offen darüber reden.Meiner Schwester habe ich es selbst gesagt, die sichtlich unüberraschtmeinte, sie habe sich das ja schon gedacht.Meine Tante setzte allem noch eine Krone auf und offenbarte mir, dass ihrschon klar war, dass ich lesbisch sei, seit ich elf Jahre alt war. Sie habesich immer gefragt, wann ich denn endlich drauf komme, wollte mich auchnicht darauf stoßen, weil sie einfach der Meinung war, ich müsse selbst zudieser Erkenntnis gelangen.Soviel zu meiner Familie.
Weihnachten 2000 traf ich eine ehemalige Bekannte, die mit mir auf derRealschule(93/94) in der Theater-Ag war, in einer Kneipe mitten im schönenSauerland. Wir sahen uns an und dachten wahrscheinlich dasselbe und siesagte es mir auch gleich: - "Du stehst auf Frauen ..."- "Ja, du auch, nicht wahr?" "Sieht frau mir das schon an?", fügte ichspaßhaft hinzu.- "Das wusste ich schon damals in der Theater-Ag ..."- "Na, da wusstest du ja mehr, als ich ..."Mehr von diesem Gespräch zu erwähnen ist nicht notwendig .Es schienen so viele Menschen vor mir gewusst zu haben und mittlerweile findeich selbst so viele "Zaunpfähle", die an meinem von Kurzsichtigkeitgeschlagenen Spätzünderschädel unbemerkt abgeprallt sind, dass ich einfachnicht begreife, wieso ich nicht viel eher gemerkt habe, dass ich lesbischbin.
Ja ja, das war mein Coming-Out und ohne meine Freundin Andrea, stände ichsicher heute noch davor.Ich wünsche jeder von Euch, die das noch nicht hinter sich hat, so vielGlück, wie ich es mit meinen Eltern und auch Freunden hatte und habe. Sicherist es auch sehr schwer, es vielen Freunden zu sagen, aber Freunde die einemdanach den Rücken kehren, waren niemals wirkliche Freunde und deren Verlustist mit diesem Gedanken vielleicht einfacher zu ertragen. Doch wenn dieeigenen Eltern einem den Rücken kehren, ... ich bin verdammt froh, dass mirdieses, wahrscheinlich schmerzhafte, Erlebnis erspart geblieben ist.
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Corona. By publishing this on lesarion the author assures that this is her own work.