von MmeChance
Als Yola sich auszieht, stelle ich fest, dass sich ihre Brüste merkwürdigerweise fast überhaupt nicht verändert haben. Sie sind rund und schön. Ein volles B-Körbchen. Sie stehen in seltsamem Kontrast zu ihrem übrigen Körper, der viel zu mager ist. Ich frage mich, wie ihre Seele in diesem schmalen Körper beheimatet sein kann. Wie lange hält es eine Seele in einer Behausung aus, die ihren alltäglichen, banalen Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein scheint, geschweige denn Genuss als berechtigten Teil des Lebens empfindet?
Dann steigt sie in die Badewanne, ist ein bisschen verlegen, senkt den Blick und verbirgt ihr Gesicht hinter einem Vorhang aus dunkelblondem Haar. Langsam gleitet ihr Körper ins warme Wasser. Mit einer ungelenken Geste verteilt sie den Schaum über die Regionen ihres Körpers, die sie vor meinen Blicken verbergen will. Ihr Haar, fächerförmig ausgebreitet, schwimmt auf der Wasseroberfläche und bildet einen Rahmen um ihr spitzes, schönes Gesicht. Ich sitze an der Seite und bemühe mich, nicht auf die Stelle zu sehen, an der ich ihren Busen vermute. Aus dunkelblauen Augen wirft sie mir schattenvolle Blicke zu. Angesichts ihrer Zerbrechlichkeit gerät mein Herz aus der Spur und schlägt mit einem dumpfen Geräusch auf den Fliesen auf. Sie ist zu mir gekommen und erbittet sich Schutz vor der Welt und vor sich selbst. Zurzeit bin ich die Einzige, die ihn ihr gewähren kann. Deshalb reiße ich mich zusammen, hebe mein störrisches Herz auf und verstaue es in meiner Brust.
Vorsichtig nimmt sie eines der sorgsam zurecht geschnittenen Apfelstücke vom Wannenrand.
Alibi-Essen?, frage ich, und Yola nickt. Tatsächlich knabbert sie eher als zu essen und legt das Stück schnell wieder beiseite. Dann ist es still zwischen uns, ich sage nichts, ziehe die Beine an, lege meinen Kopf auf die Knie und warte.
Das ist alles, was ich momentan schaffe in mir zu lassen, ich kann nicht einmal mehr frühstücken, ich verliere jedes Mal die Kontrolle, sagt sie plötzlich. Wenn ich schon morgens schwach geworden bin, ist doch sowieso alles egal. Dann mach' ich einfach weiter. Also ess' ich eben lieber gar nichts, das ist besser… Hilflosigkeit in ihrer Stimme, meine Brust wird eng. Ich antworte ihr, dass es gut wäre, wenn sie froh wäre, dass es sie gibt.
Sie lächelt matt. Ich spüre nicht, dass es mich gibt und es war noch nie so schlimm wie jetzt, flüstert sie. Zeig mir deine Oberschenkel, fordert sie mich auf.
Ich erhebe mich langsam, ziehe erst meinen Rock, dann meine Strumpfhose aus. Ich stehe vor ihr und sie betrachtet mich. Du bist schön, deine Schönheit kann ich sehen, kommentiert sie meine Nacktheit. Yolas anfängliche Unsicherheit scheint sich auf mich übertragen zu haben. Ist das so? Die Grenzen zwischen dem Normalen, dem Schönen und dem Kranken verlieren an Kontur. Irritiert setze mich auf den Rand der Wanne und stelle meine Füße ins warme Wasser. Sie reicht mir ihre Hand; halb ziehe ich sie, halb stemmt sie sich hoch, bis sie neben mir sitzt.
So kann ich sehen, dass meine Beine dünner sind, stellt sie fest. Aber mein Bauch sieht trotzdem dick aus, oder? Eine dünne Schicht Fleisch über Knochen, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Hast du eigentlich mittlerweile mit deinen Eltern gesprochen? Eine sachliche Frage, mein Tränenwasser muss bleiben, wo es ist. Sie verneint und lässt sich zurück ins Wasser gleiten. Sie könne sie doch nicht so verletzen. Im Übrigen muss ihnen das sowieso klar sein, sagt sie, oder was denken die, warum ich nach dem Essen immer so schnell abhaue… Ich denke an die berühmten drei Affen und doziere, wie wichtig es gerade für sie ist, sich so zu zeigen wie sie ist.
Plötzlich zerplatzt eine Luftblase an der Oberfläche des duftenden Schaumwassers und Yola lacht schallend. Ich starre sie ungläubig an. Hat sie gerade ins Wasser gepupst? Whirlpool, kommentiert sie die Aktion, zuckt grinsend mit der Schulter und ergänzt: Das sind die Äpfel, da krieg' ich immer Blähungen auf leeren Magen. Jetzt muss ich auch lachen und erkläre, dass ich das mit dem "Authentischsein" im Grunde anders gemeint hatte. Während ich ihr das sage, liebe ich sie so sehr für die trotzige Kraft, die immer wieder aus den dunklen Ecken der Verzweiflung zum Vorschein kommt. Dann verspricht sie mir, die Karten auf den Tisch zu legen - wenigstens bei den Menschen, die ihr wichtig sind.
Ich weiß, dass ich Yola jetzt zum Abtrocknen alleine lassen muss. Ich stehe auf, schnappe mein Kleiderbündel, und schließe leise die Tür hinter mir. Kurze Zeit später kommt sie zu mir ins Schlafzimmer und klettert unter die Wärmedecke, die ich für sie ausgebreitet habe. Obwohl ich weiß, dass sie von innen friert, aus den Knochen, wie sie selbst sagt, will ich, dass sie es von außen warm hat. Mein Blick ruht auf ihrem nackten Rücken, der in den weichen Kissen vor mir liegt. Die Haut spannt sich über ihre Knochen; jeder einzelne Wirbel ist zu sehen. Ich passe gut auf mein Herz auf, verreibe etwas Öl in meinen Händen und berühre sie vorsichtig. Ich traue mich nicht, Druck auf ihren Körper auszuüben, und so wird aus dem, was eigentlich als Massage gedacht war, eine Streichelei. Ich spüre ihre weiche, ebene Haut unter meinen Fingern und genieße es sehr, ihr nahe zu sein. Sie ist vollkommen still. Den Kopf von mir abgewandt zur Seite gedreht, liegt sie einfach da. Ich muss lächeln, als ich sehe, wie sich ihre Hände langsam öffnen und weiß, dass ich alles richtig mache.
Wenn du keine Lust mehr hast, dann ist das in Ordnung, murmelt sie, den Mund an mein Kopfkissen gedrückt. Ach Yola… Ich sage ihr, ich würde sie bis in alle Ewigkeit weitermassieren. Oder bis ich zu müde dafür bin, korrigiere ich mich schnell, denn schon jetzt habe ich den Eindruck, dass ihre Schuldgefühle sie tief in die Matratze drücken.
Später stehen wir uns im Flur gegenüber, sie lächelt mich an. Ich kann mich an dieser Mischung aus scheuer Verlegenheit und Koketterie nicht sattsehen. Zum Abschied nehmen wir uns lange in den Arm und kaum habe ich sie ins Treppenhaus entlassen und die Tür hinter mir geschlossen, fehlt sie mir schon wieder. Ich gehe in die Küche, öffne die Balkontür und trete in die Nacht hinaus. Es ist eiskalt und mein Atem produziert diese kleinen Wattebäusche, die schon während ihrer Entstehung der Vergänglichkeit zum Opfer fallen. Über die Brüstung gebeugt beobachte ich, wie sie zu ihrem Auto geht. Ich drehe mich um, gehe zurück in die warme Küche, mache mir einen Tee und trage ihn zusammen mit einem Teller Gebäck ins Wohnzimmer.
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