von nightingale_
Zu jedem Menschen auf dieser Welt gibt es ein Gegenstück, eine Person, die für einen gemacht ist, auf einen wartet und wenn man zusammenfindet weiß, dass es diese Person für immer sein wird.
Wenn dem wirklich so sein sollte, so würde es mich nicht wundern, wenn sich mein Gegenstück vor langer Zeit bereits das Leben genommen hätte. Dass sie sich in dieser Welt nicht zurecht gefunden hätte, dass sie zu viele falsche Personen kennengelernt hat, Menschen, die für sie schädlich waren und sie dem Abgrund ein kleines Stück weiter entgegentrieben. Es würde mich nicht wundern, wenn sie den größten Teil ihrer Lebenszeit verzweifelt gewesen wäre und sich irgendwann zurückgezogen hätte, irgendwann, irgendwo in eine dunkle Ecke, in eine Kammer, in der ich sie in der Außenwelt nicht entdecken konnte.
Wer weiß, vielleicht bin ich ihr schon begegnet, einmal über den Weg gelaufen, ein flüchtiger Blick auf der Straße? Vielleicht hat sie mich gesehen, wie ich Hand in Hand mit einer anderen Frau lief. Vielleicht hat ihr dieser Anblick den Rest gegeben. "Wieso werden alle glücklich, nur ich nicht? Wieso finden immer alle die richtige Person, alle immer irgendwann irgendwen - nur ich nicht?"
Vermutlich ist meine Seelenpartnerin genauso sensibel wie ich, genauso emotional, genauso verletzlich. Vielleicht hat sie nicht die Stärke, die ich hatte, durchzuhalten, die es mich gekostet hat, zu jeder Zeit das Positive und Schöne im Leben zu sehen, zum Teil doch ganz automatisch, ganz beruhigend, vielleicht hatte sie keinen Rückzugsort und vielleicht hat die Person, von der sie dachte, dass sie sich immer auf sie verlassen könnte, sie genau im falschen Augenblick enttäuscht.
Vielleicht stand sie einfach dort, an einer Klippe und sah in das umliegende Tal hinunter, auf den undurchschaubaren Wald. Niemand in der Nähe, nur die Sonne und ein einzeln landender Vogel, die ihr Gesellschaft leisteten.
Vielleicht hat sie diesen Vogel angesehen und das Tal und vielleicht ist ihr in dem Moment bewusst geworden, dass sie nicht zurück will, nicht zurück zu den Menschen, zu dem hektischen Leben und den Erwartungen, zu Prioritäten von Macht und Geld - und vielleicht hat sie in dem Moment beschlossen, nicht mehr zurückzugehen. Nie wieder.
Ich stelle mir vor, wie sie dort saß, am Hang der Klippe, ihre Beine pendelnd über dem endlosen Abhang, wie sie sich langsam aufrichtete und erhobenen Hauptes in das Tal hinunterblickt, ein letztes Mal auf die Bäume und den hindurchlaufenden, im Sonnenschein glitzernden Fluss und wie sie die Arme ausbreitete, um ein letztes Mal frei zu sein, sich fallen zu lassen.
Und ich stand nicht unten, um sie aufzufangen.
Denn ich war zu beschäftigt, die Hand einer anderen Frau zu halten.
Und so ist meine Seelenverwandte nun tot.
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