von Kampfsocke
Ich möchte eine Geschichteerzählen. Keine Geschichte über Liebe, Leiden undLaster - Ich möchte dieGeschichte einer Gruppe Jugendlicher erzählen, in einerSzene ausgesellschaftlicher Abgrenzung, Abstürzen und Zusammenhalt. Einer Szeneaus Sex,Drugs & Punk´n´Roll. Ich möchte über den normalen Ablauf des LebensdieserJugendlichen erzählen. Schauplatz dazu soll ein ehemaliger Bahnhof sein,ineiner kleinen Industriestadt.
Ein üblicher Sommerabend:Eine Gruppe von drei Jugendlichen, bald Erwachsenenfuhr, sich lautstarkunterhaltend mit ihren Fahrrädern hinter dem altenBahnhofsgebäude ein. Es warWochenende, sie hatten nichts zu tun, also hieß es,„Schauen wir doch mal zumBahnhof!“.
Schon nach einigen Schrittenwaren die ihnen bekannten Stimmen zu vernehmen, dazuklang ein Lied vonSchleimkeim aus dem Kassettenrekorder. Es roch nach Bier,Zigaretten und auseiner unbestimmbaren Richtung kam der ebenso bekannte wiebeliebte Grasgeruch –eben ein üblicher Sommerabend. Nach kurzer Begrüßungeiniger Freunde gesellten sie sich in den Kreis, öffnetenihr erstes Bier andiesem Tag, und genossen die Gesellschaft Gleichgesinnter.
Ich muss hier einschieben,es gibt nichts Schöneres für sie, als sich untervielen Punks zu befinden. Sielieben diese Abende und Orte, an denen sie niemandschräg ansieht, keiner sichtraut, sie zu beschimpfen. Sie fühlen denZusammenhalt der Szene und die Verbundenheit untereinander. Aber nun weiter.
„Mit dem Knüppel in der Handkämpf´ ich für´s Vaterland – auf den Anarchist, dennich bin Polizist!“, sangeneinige der männlichen Punks, um nicht zu sagen, siegrölten es.
„Sag mal, was soll daseigentlich immer. Ständig heißt´s, wir Punks sind ja bloßalle dummeAnarchisten. Totaler Scheiß. Und das ganze wird dann noch mit so wasunterstützt…“,meinte J. zu T. , auf die lärmende Gruppe deutend.
„Naja, schau mal, damalserschien ihnen das wohl als die beste Lösung. Überlegdoch, Schleimkeim kamenaus der DDR. Was hättest du da wohl gewollt? Aberirgendwo hast du schon Recht.Ich kann die ganzen kleinen Kiddiepunks, mit ihrenAnarchieaufnähern nich mehrsehn. Sie wissen über alles bescheid, finden Anarchieganz toll, aber haben inWirklichkeit keine Ahnung. Und die sollen dann mal unserNachwuchs sein.“,antwortete sie kopfschüttelnd.
„Hm. Das Prinzip ist dochgar nicht schlecht. Es würde alles wie gewohntweitergehen, jeder würde zurArbeit gehen, und so weiter. Nur eben ohne Druck undRegierung von oben. Aberwenn da niemand wäre, der sagen würde, *Hey, pass malauf, wenn du denabmurkst, dann buchten wir dich ein*, dann will ich echt liebernichwissen, was dann los wäre.“
„Stimmt schon. Aber komm,wir sind da, um Spaß zu haben!“, lächelte T. undprostete J. gut gelaunt zu.
J. dachte noch einen Momentüber das Gespräch eben nach, als sie aus ihrenGedanken gerissen wurde. M.stupste sie von der Seite an, und grinste über beideOhren.
„Was los?“ fragte sie, dochihre Frage beantwortete sich von selbst, als jemandrief:
„Ach, schau mal an, wer sichwieder hier her traut. Hat dir P. nich klar gemacht,dass wir dich hier nichmehr sehen wollen?“
Ti. grinste nur dümmlich,wie immer. Er sah schlimmer aus, als J. ihn je zuvorgesehen hatte. An derLippe, wo er früher ein Piercing getragen hatte, war jetztnur noch eine langeNarbe zu sehen, sein Iro war noch dünner geschnitten, man sahsogar noch, woihm die Farbe runtergelaufen war. Er stank erbärmlich, und diePupillen, vondenen möchte ich lieber nicht sprechen. Kurz: Er sah erbärmlicheraus, denn je.
Hier sollte ich noch einmalauf den Zusammenhalt in der Szene eingehen. Es gibtein großes Gefühl derZusammengehörigkeit, so hilft sich auch jeder, wenn es seinmuss. Diese Hilfehat jedoch ihre Grenzen. Wer der Szene etwas gibt, der bekommtauch etwaszurück – wenn jemand jedoch nur pöbelt, Stress und Schlägereienprovoziert,oder sogar bei der Polizei verpetzt, der bekommt nichts mehr,höchstensgewaltigen Stress.
Einige der Punker, aucheinige der Punketten waren inzwischen aufgestanden undgingen langsam auf ihnzu. Man sah ihm an, dass er Angst hatte, aber er bliebdennoch stehen, machtesich zu allem Überfluss noch lustig:„P., haha, der schlägt dochzu wie ne Tunte, haha….“Weiter kam er nicht, denneiner der Jugendlichen hatte schon zu rennen begonnen.
Er drehte sich um, undsprang auf die Gleise, auf denen er wie ein Wiesel in dieDunkelheitdavonrannte.
„Hoffentlich erwischt dichder Zug, du erbärmliches Arschloch!“, schrie ihm J.hinterher.
Die Stimmung war aufgeheizt,man hörte Kommentare, wie „Wenn ich den nochmal seh,dann is er tot!“.
J., M., und T. setzten sichzusammen und unterhielten sich über das eben Erlebte:„Is doch ne Schweinerei, wasder sich rausnimmt. Ich mag zwar den P. nich, aberdas war mal was Gutes. Ichmein, ich wünsch es keinem, das er so auf die Fressebekommt, aber bei Ti….“,begann J.
„Na klar wünscht man so waskeinem. Aber T. hat einfach nich geblickt, dass erhier in einer Kleinstadt is,nich in Berlin und nich in ner großen Szene. Ergehört hier nich her, dergehört in die Stadt. Da kann er dann zu den ganzenanderen abgestürztenGestalten gehn.“
„Ja, das is es eben. Immerwenn´s heißt, *Eh, du Scheißpunker, du lebst aufmeine Steuern, geharbeiten!*, muss ich an ihn denken. Er steht doch für alles,was man beiuns nicht findet.“, meinte M.
„Ne, find ich nich. Natürlichis er abgesifft, aber zur Schule geht er doch… außerdem verallgemeinerst dudas. Denk an W. Einer der nettesten, wo ich kenn,und trotzdem seit Jahren ohneArbeit – weil er keine Lust hat.“, beschwerte sichJ.
„Ja, aber das ist es dochwas die Leute erwarten: Faul, asozial, und so weiter.
Aber dass viele gar nichtso sind, daran denken die doch gar nich…“
„Also, du machst dir ja auchkeine große Mühe, dass die was anderes denken, wenndu so rumrennst, und dannnoch mit nem Bier in der Hand – tagsüber!“, lachte J.„Ok, du hast Recht. Es isteinfach Teil vom Provozieren, das Spiel mit demClichée. Und wer mich kennt,der weiß ja, dass ich nich so bin…“
„Ne, so nich, aber betrunkenbiste!“, grinste T.
M. lachte, breitete seineJacke aus, und legte sich auf den Rücken, die Augengeschlossen. T. machte esihm gleich, und kuschelte sich an ihn, um den Alkoholetwas abklingen zulassen.
J. beobachtete die beiden,seufzte, und kramte ihren Tabak aus der Tasche. DazuFilter, Paper, und etwasGras. Das musste jetzt einfach sein, sie war soaufgekratzt von Ti. Sie mischteTabak und Gras, drehte das Paper vorsichtigzwischen den Fingern, befeuchteteund verklebte das Ganze. Vorsichtshalber ging sieeinige Schritte von den anderen weg, dieser sollte nurfür sie sein. Sie wolltenicht wieder gefragt werden, ob man auch mal ziehenkönnte. Sie spürte, wiesich das vertraute Gefühl, wie in Watte verpackt zu seinin ihr ausbreitete,und sie langsam ruhiger wurde. Schweigend sah sie sich dieSterne an, auf das Geländer gestützt, als sie 2 Händean der Hüfte spürte.
„Na, was machst du hier, soganz alleine?“
Es war Je., ihreNamensvetterin, so zu sagen. Erleichtert drehte sie sich um, gabihr einen Kussauf beide Wangen und meinte:
„Och. N bisschen nachdenken,über dies und das.“
„Achso, stör ich?“
„Neee, du doch nich“,grinste J.
„Meinst du, Ti. kommtwieder?“, fragte Je.
„Ne, denk nich. Und wennschon, der bleibt eh nich lange. Hast doch gesehen, wiedie anderen abgehen.Der macht´s glaub ich sowieso nich mehr lange.“
„Mhhh...“
„Hm, weisste, manchmal machich mir so meine Gedanken, was aus der Szene malwird. Und was aus mir wird.Aber dann schau ich mir meine Freunde hier an, undschau auf das zurück, wasich hier alles erlebt hab… und dann weiß ich, dass esrichtig ist. Ich mach mirnur Sorgen, was wird, wenn wir nich mehr da sind. Schaudir doch die ganzenKiddiepunker an, die hier rumrennen. Es is doch ne Schande…“
Ihr Gespräch wurdeunterbrochen, als sie von vorne lautes Gejohle hörten. Da J.fertig gerauchthatte, lief sie mit Je. langsam nach vorne, um zu sehen, waspassiert war.
Irritiert starrten diebeiden auf das Schauspiel, das sich ihnen bot:
Ti. war mit 5 Polizisten imSchlepptau zurückgekommen, und beschuldigte einigeder Anwesenden, ihn bedrohtund verfolgt zu haben. Es stimmte natürlich, aber weraufmerksam gelesen hat,der wird verstehen, was für ein Zeugnis er sich damitselbst ausstellte.
Die beiden Punketten eiltenzu den anderen, und gingen schnurstracks auf diePolizisten zu, die ziemlichverwirrt und verärgert dreinschauten, da niemandirgendeine Aussage machenwollte zu den Beschuldigungen.„Also, schauen Sie, ich warden ganzen Abend schon hier, und ich hab den Typenhier nicht gesehen. Habt ihrihn gesehen?“, fragte J. in die Runde. Eineinstimmiges „Neee…“ folgte prompt.
Die Polizisten blickten alleskeptisch an, besprachen sich kurz untereinander,bis einer vortrat:
„Na gut, das klärt ihr dannlieber unter euch ab. Aber was ist mit dem Müll, denganzen Flaschen?“
„Pfandflaschen!“, tönte esaus einer Ecke.
„Wenn morgen hier Müllrumliegt, bekommt ihr ne Anzeige, das is klar?!“, rief derPolizist, und siemachten sich daran, die Personalien der Gruppe aufzunehmen.
„Typisch, oder?“, meinte Je.zu J., die nur nickte.
J. wandte sich an T. und M.,die ihr zunickten, als Zeichen dass sie mit ihr nungehen würden. Diese ganzeSache hatte ihnen den Abend gründlich verdorben. J.umarmte Je. zum Abschiednoch, gab ihr die gewohnten Küsschen und ging zu ihrenbeiden Freunden, dieschon warteten.
„Was machen wir jetzt mitden Flaschen?“
„Na, das Übliche“, grinsteJ.
Das Übliche, das hieß, siewarteten einfach, bis die Polizei abgezogen war, undwarfen ihre Flaschen inden Fluss, der gleich bei ihrem Treffpunkt lag. Und wennsie keine Lust mehrhatten, blieb der Rest einfach liegen…
Dies war der erste Teil, dereinen Einblick in den Alltag dieser Gruppe vonJugendlichen geben sollte. Natürlichverlaufen die meisten Abende sehr vielruhiger, aber auch so etwas gehört mitzum Alltag. Bald folgt ein zweiter Teil,der sich mit der Musik und einem Abendauf Konzert, oder einem Festival befassenwird.
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