von Zephira
Orangen im Winter
oder
wie das Verlangen schmeckt...
Wie so oft zuvor sitze ich in dieser verrauchten Spelunke, in der es penetrantnach Bier, Schweiß und Quickies auf der Toilette stinkt. Am Tresen hockenbetrunkene Männer und suhlen sich in ihrem persönlichen Elend.
Die Musik ertönt gequält laut aus der alten Jukebox, dass es fast unmöglich istein Gespräch zu führen.
Aber Gespräche werden hier eher selten gehalten.
Es ist wie ein gemeinsames Zusammensitzen in Stille, die es nicht wirklich gibt,wahrscheinlich um die Realität zu vergessen. Immer dieselben grauen Gesichter,die sich an ihre Getränke klammern, erschöpft in sich und ihren Gedankenzusammengesunken.
Warum sitze ich eigentlich jeden Freitagabend hier? Ach ja… wegen dir.
Deine Augen funkeln lila in der Dunkelheit.
Die Farbe passt zu deinem blonden Haar, das silbern im Kerzenlicht schimmert.
Und wieder einmal frage ich mich, von was du wohl träumst.
Die Ruhe, die deine Augen ausstrahlt, die sich wie seichter Nebel von dir bis zumir ausbreitet.
Versuchen alles zu sehen und doch scheinen sie blind gegenüber jedem Leben indiesem Raum.
Diese Augen. Ein einziger kurzer Blick und sie haben mich verzaubert.
Nur deswegen sitze ich hier. Um auf eine Wiederholung zu hoffen.
Vielleicht ein kleines Lächeln dazu? Nur etwas angehaucht, aber was dennoch alsLächeln gedeutet werden kann. Dieser eine Abend, der meine Träume veränderte,weil ich in deine Augen gesehen habe.
Dabei wollte ich doch nur Zigaretten aus dem Automaten holen.
Und nun sitze ich wieder einmal hier, klammere mich wie so viele andere, an meinGlas und beobachte dich.
Ich weiß nicht, ob du mich bemerkt hast. Ob du weißt, dass ich dich beobachte.
Vielleicht nimmst du mich auch gar nicht wahr, weil ich eine Frau bin. So wiedu.
Oder vielleicht ist es dir ja auch egal?
Ich weiß nicht, ob es du es spüren kannst, dieses warme Gefühl, dass sich in mirausbreitet, sobald du die Kneipe betrittst und dich auf deinen Stammplatz setzt.
Weiter hinten, in einem Separee, von der aus man Alles und Jeden betrachtenkann, ohne selbst wahrgenommen zu werden.
Diese Hitze in mir, wenn du mit deinem verträumten Blick der Kellnerin zuwinkst.
Es ist, als ob ein Gefäß voll mit Lust in meinem Bauch ausgekippt ist und nundurch jede Vene rauscht.
Ich weiß, was du bestellen wirst. Wodka- Orange. Insgesamt 2 Stück, in einemZeitraum von einer Stunde, dann gehst du wieder. Lachend verlässt du mit derKellnerin die Kneipe.
Wie ihr wohl zueinander steht? Und in mir wird es dann wieder kühl.
Aber noch ist es nicht soweit. Noch fühle ich diese Wärme in mir. Noch bist duda.
Noch habe ich die Chance dich anzureden. Wenn ich doch nur den Mut dazu hätte.
Vielleicht würden wir beide dann schon gar nicht mehr hier sitzen, sondernzusammen irgendwo sein, wo es gemütlicher und freundlicher ist.
Oder ich würde wieder zuhause sein, alltägliche Dinge tun und den Versuchstarten, deine Augen zu vergessen und diese ewige Hitze in mir, weil dukeinerlei Interesse an mir hast.
Du zündest dir eine Zigarette an und automatisch greife ich zu meiner Schachtel.
Nie zuvor habe ich das Rauchen so sexy gefunden. Wie lasziv du den Rauch durchdeine Lippen presst.
Deine Lippen.. ich glaube sie sind zum Küssen geschaffen.
Wonach deine Küsse wohl schmecken?
Ob ich zu dir rüber gehen sollte, um nach Feuer zu fragen? Nein, lieber nicht.
Das ist zu billig.
Aber wie kann ich nur mit dir ins Gespräch kommen? Wie kann ich meinem Verlangenentkommen?
Oder soll ich sie schüren? Jetzt! Du blickst in meine Richtung. Dieser Moment.
Wie lange ich darauf warte.
Zu schnell vergeht er und zulange dauert es, bis er wieder kommt.
Unsere Augen treffen sich.
Verweilen kurz, dann konzentrierst du dich wieder auf dein Buch, welches vor dirliegt.
Was du wohl liest? Der Einband verrät nichts.
Kurzgeschichten zum Lachen, diedie traurige Realität versüßen? Ein Krimi, der zu Abenteuerphantasien anregt?
Oder doch Liebesgedichte oder -geschichten? Wünschst du dir auch Wärme undLiebe?
Warum bist du jeden Freitag hier? Wonach sehnst du dich?Mein Körper zittert. Dieser kurze Blick von dir. Er geht direkt unter die Haut.
Ob du dessen bewusst bist? Was ein einziger Blick von dir anrichten kann?
Ich winke der Kellnerin zu und bestelle mir ein Wodka- Orange.
Brauche etwas Kaltes, um mein Feuer zu lindern.
Und zugegeben, ich möchte so gerne fühlen, was du fühlen könntest, wenn der süßeSaft die Kehle runter rinnt, der Geschmack von den Orangen, der süß an Wärme undnackter, sonnenbrauner Haut erinnert und der Wodka, der die Sinne leichtbenebelt. Orangen die Lust auf Sommer machen. Aber es ist Winter.
Keine sonnengebräunte wenig bekleidete Haut, sondern dick eingepackt inwärmenden Pullis, die wenig Spielraum für Phantasien lassen. Ob deine Haut auchnoch leicht gebräunt ist?
Oder doch so weiß, wie meine? Wie Schnee, der sich auf den Straßen türmt.
Wie sie sich wohl anfühlt? Sie wird weich sein, federweich, wie von fast jederFrau.
Und dein Duft? Ob er an den Frühling erinnert?
„Darf es noch etwas sein?“ Die Stimme der Kellnerin reißt mich aus meinenGedanken.
Sie lächelt mich an, ungeduldig, wieder auf dem Sprung, um Bestellungennachzugehen und Trinkgeld zu kassieren.
Ich zögere kurz.
„Einen Wodka- Orange für die Frau dort hinten, bitte.“ Ich deute mit einerKopfbewegung in ihre Richtung.
„Sie ist hübsch, nicht?“ Die Kellnerin zwinkert mir zu, bevor sie geht.
Ich achte nicht auf ihre Worte, sondern widme mich wieder deinen Augen und derWärme in mir.
Ob es gut war? Um es rückgängig zu machen ist es zu spät, denn die Kellnerindeutet schon mit dem Getränk in der Hand auf mich. Nur eine kurze Kopfbewegung.
Sie sagt etwas zu dir und geht dann grinsend fort. Was sie wohl gesagt hat, dasssie so grinst? Vielleicht war es ein Fehler? Vielleicht sollte ich jetzt einfachgehen, um mich vor jeglicher Blamage zu schützen? Wieder zu spät. Du lächelstmich an.
Bewusst und nicht an mir vorbei. Deine Blicke gehen tief.Und mein Herz schlägt so schnell und laut, dass ich schon befürchte, du könntestes hören.
Du verstaust dein Buch in deinem Rucksack. Unmöglich einen Blick auf den Titelzu werfen.
Deine Hände umfassen das Glas und die Zigaretten, stecken sie in deineHosentasche.
Dann stehst du auf.
Deine Schritte, langsam und bedächtig, führen dich zu mir und mein Atem stocktfür einen kurzen Moment.
„Darf ich mich zu dir setzen?“ Du duzt mich, als ob wir uns schon ewig kennenwürden.
Deine Stimme ist so hell und fühlt sich an, wie Tau auf einem Lilienblatt. Ichkann diesen Tropfen spüren, wie er vom Blütenblatt auf meine Haut perlt, um einFlächenbrand zu entfachen.
Ich nicke, denn für Worte fehlt es mir an Atem.
Du könnest dich mir gegenüber setzen, für ein Gespräch, bis es Zeit ist zugehen.
Doch du setzt dich neben mich. So nah. Ich bilde mir ein deine Wärme zu spüren.
Und es ist mehr, als nur dieser erhoffte Blick, viel mehr. Jetzt sitzt du neben mir und ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll.
Und das Hitzegefäß in mir ist am überkochen.
„Warum hat die Kellnerin eigentlich so gegrinst?“ frage ich mit Mühe, umwenigstens etwas zu sagen.
Ich muss mich räuspern. Du lächelst verschmitzt.
Ein Lächeln von dir habe ich erträumt und nun schenkst du mir gleich so viele.
„Sie sagte, dass du hübsch bist.“
Ich schaue sie verwundert an. „Dasselbe sagte sie zu mir.“ Und auch ich mussgrinsen.
Das erste Mal, nach so langer Zeit und es tut so gut.
Das Eis ist gebrochen.
„Sie ist meine Schwester und kennt eben mein Geschmack.“ Ich wieder nicke ich ihr nur zu. Ihr Geschmack? Bist du etwa auch…, magst duauch Frauen?
Der Gedanke kommt mir jetzt so naiv vor. Aber es ist nicht unmöglich, oder?
„Ich habe dich beobachtet, immer wenn du mal nicht zu mir geschaut hast. Aberdas war wirklich schwer.“
Am liebsten würde ich im Boden versinken, so rot werde ich.
Du hast es also doch bemerkt.
„Was liest du da eigentlich?“
Ich versuche abzulenken.
„Fire, wenn Liebe Feuer fängt... Kennst du es?“ Ich verneine.
„Eine Geschichte zweier verschwägerter Frauen aus Indien. Die sich lieben lernenund ihre Ehemänner verlassen. Voller Poesie, sinnlich und schön.“
Sie schlägt eine bestimmte Seite auf und liest eine Passage daraus vor:
„Verlangen bringt Verderben! Ashok war außer sich, während Radha anfing zuLächeln.
Verderben? Weißt du, dass ich tot war ohne dieses Verlangen?
Das Verlangen macht das Leben erst sinnvoll. Und soll ich dir noch was sagen?
Ich genieße das Verlangen.
Das Verlangen nach Sita, das Verlangen nach ihrer Wärme, ihrem Mitgefühl, ihremKörper.“
Deine rauchige Stimme bringt mein inneres Gleichgewicht durcheinander und dieständige Wiederholung des Wortes Verlangen, macht mich ganz nervös.
Denn mein Verlangen, dieses Feuer, von dem du sprachst, spüre ich schon dieganze Zeit.
„Und?“, fragst du mich, „was denkst du über das Verlangen?“Du blickst mir wieder tief in die Augen.
Und ich weiß nicht, ob es noch eine Steigerung von der Hitze in mir gibt.
Fire. Ich kann es fühlen. Die Flammen meines Verlangens. Wie sie sich langsamaus dem Bauch heraus, hinunter zwischen meine Schenkel ausbreiten und sich zueinem Punkt bündeln, der mich fast explodieren lässt.
Ein Inferno wütet in mir.
Unsere Gedanken werden zu Worte und Worte zu aufrichtigen Sätzen, die den Abendfüllen.
Die von auch Träumen, Visionen, Erfahrungen und Wünschen erzählen, vonVergangenheit und Gegenwart und vielleicht ein wenig Zukunft, bis es Zeit ist zugehen.
Du gehst zum Tresen und die Kellnerin, deine Schwester also, zwinkert mir zu.
"Ich finde den Weg heute auch alleine nachhause."
Sie lacht. Ich finde, sie sieht dir gar nicht ähnlich. Sie ist hübsch, aber du,du bist schön.
Anders schön, nicht in dem Sinne eine Schönheit, wie die Medien weismachenwollen, die Schönheit klar definiert haben. Deine Schönheit hat etwas Alterlosesund Strahlendes.
Und deine Ausstrahlung ruft nach Begehren.
Viele müssen um solche Ausstrahlung kämpfen, dir wurde sie anscheinend in dieWiege gelegt.
Du wartest auf mich, während ich bezahle.
Deine Hand greift vorsichtig sanft nach meiner, zieht mich raus in die kalteSchneeluft, die jeden Zweifel in mir verweht. Deine Blicke sagen alles. DeineSchritte wissen den Weg in die samtene Wärme, die uns nun umhüllt.
Und dein Duft riecht nicht nach Frühling, sondern nach Sehnsucht.
Deine Haut ist köstlicher als jede Orange, weicher als jede Daunenfeder und die Sonne kann ich noch immer auf dir fühlen, wie sie mich umarmt, mit all der Leidenschaft, die du gefangen hast.
Und unsere Küsse schmecken nach Verlangen…
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