von Shay
Langsam fährt der Zug in den kleinen Bahnhof ein. Die letzte Station vor zu Hause.
Zu Hause?
Nein, nicht zu Hause. Zu Hause ist, wo man sich geborgen fühlt, wo man Herzen schlagen hört, wo man weinen möchte, weil das Gefühl so überwältigend ist. Zu Hause ist, wo du liebst.
Und von dort komme ich gerade.
Nein, ich fahre nicht nach Hause. Ich fahre zu dem Ort, an dem ich wohne, lebe, existiere. Aber es ist nicht mein zu Hause.
Nach Hause bin ich vor zwei Wochen gefahren, als ich in diesen Zug eingestiegen bin. Nur dass er in die andere Richtung gefahren ist. Vier Stunden saß ich in einem Abteil und konnte nur an das denken, was mich erwartete. All das, was ich seit Monaten vermisste. Und ich würde es wieder bekommen. Für zwei kleine Wochen. 14 Tage, die mich überleben ließen.
Doch jetzt lag das hinter mir. Und die Realität direkt vor mir. Noch 25 Km weit weg.
Und dann würde wieder alles wie immer sein. Arbeiten, vor sich hin leben, vermissen, nicht anwesend fühlen, sehnsüchtig aus dem Fenster sehen. Und nur an eines denken – sie.
Sie, die mir soviel gibt. Sie, die mich jedes Mal davon abbringt, aufzugeben. Sie, die mein ein und alles ist.
Sie, die der einzige Mensch ist, der mich wirklich kennt.
Der Zug setzt sich polternd wieder in Bewegung. Die Entfernung zu ihr wächst, die Entfernung zu meinem eigentlichen Leben schrumpft.
Aber hatte ich ihr nicht neulich noch gesagt, dass sie, genau sie, mein Leben ist?
Ja, das ist sie. Und doch nur ein kleiner Teil. Aber der einzige, für den es sicht lohnt, zu leben.
Zu Hause. Wo ich niemals alleine bin. Wo ich nicht weinen brauche. Und wenn, dann ist jemand da, der mich in den Arm nimmt und tröstet. Mir meine Tränen sanft weg küsst.
Und genau jetzt, in diesem Moment, ist niemand da, der meine Tränen heilt. Sie laufen einfach über meine Wangen. Ich mache mir nicht die Mühe, sie weg zu wischen. Denn es wäre, als würde ich sie weg wischen. Denn diese Tränen sind nur für sie. Zeichen meiner Seele.
Die Kilometer laufen an mir vorbei. Und mit jedem einzelnen wird das Loch in meinem Herzen größer. Die Wunde in mir tiefer.
Ich weiß, was mir jetzt bevor steht. Monate. Monate voller Schmerzen, Sehnsucht, Vermissen. Telefonaten, die mir nichts das geben, was ich brauche. Mails, die mir nicht das Gefühl vermitteln, das Umarmungen tun. Wörter. Liebgemeinte Wörter und doch sind es nur aneinander gereihte Buchstaben. Keine Taten. Keine Blicke. Einfach nur Worte.
Der Zug wird langsamer und ich packe meine Sachen zusammen. Stecke ihren Brief in meinen Rucksack. Jedes Mal schreibt sie mir einen, wenn ich fahre. Damit ich auf der Fahrt noch etwas von ihr habe. Und wieder nur Worte. Die Erinnerungen hervorrufen und noch mehr weh tun.
Ich stehe auf und bewege mich langsam zur Tür. Noch ein paar Minuten und meine Reise wird zu Ende sein.
Meine Mutter erwartet mich sicher, um mich vom Bahnhof zu meiner Wohnung zu bringen. Und dort wartet auf mich das Übliche. Hellgelbe Wände, mein leeres Bett, kalte Zimmer, einsame Gedanken. Es ist immer das selbe. Immer und immer wieder.
Ich steige aus und gehe durch die Unterführung zum Parkplatz des Bahnhofes. Meine Mutter ist bereits da.
Ich könnte schon wieder weinen. Ich will nach Hause. Nicht in dieses Leben, das ich mir aufgebaut habe. Ich würde es jeder Zeit umtauschen. Nur ein Wimpernschlag und ich wäre hier weg.
Nach Hause.
Nichts wünsche ich mir sehnlicher.
Nach Hause.
Wie sagten Kettcar doch einmal so treffend in einem ihrer Songs?
Der Teil, den ich versteh, ist Home ist nun mal where your heart is...
Und das ist definitiv nicht hier...
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