Meine Coming - Out Story

von Speechbubble88


Eine „neue“ Orientierung ist wie ein neues Leben


Das Coming – Out meiner selbst lag am 23.9.07 genau zwei Jahre zurück. Es war ein Tag wie jeder andere auch. Ich war siebzehn und ging in die 12. Klasse. In diesem Jahr war der 23.9. ein Freitag, ich ging zu Schule und schrieb meine Englischklausur, kehrte nach Hause zurück und ahnte nicht, dass dieser Tag so viel in meinem Leben verändern würde.
Zu dieser Zeit lief im Fernsehen gerade die 2. Staffel vom O.C. und ich hatte die Mittwochsfolge noch nicht gesehen und plante dies an dem besagten Freitagnachmittag nachzuholen. Ich kam also nach hause und machte irgendwelche Hausaufgaben. Abends setzte ich mich auf mein Bett und startete die Folge 12, der 2. Staffel und während diesen 45 min. wurde mein Leben von grundweg verändert. In den Folgen zuvor wurde das Kennen lernen zweier Mädchen dargestellt, die auch immer heftiger flirteten. Dabei habe ich noch nichts gefühlt, was sich aber während der folgenden Folge änderte. Die beiden besagten Mädchen trafen sich überraschend am Valentinstag und gingen zum Strand (wer die Folge kennt, weiß was ich meine). Sie setzen sich und ihre wunderschönen Gesichter rückten immer näher zueinander bis sich ihre Lippen berührten und sie sich zum ersten Mal küssten. In dem Moment wurde alles um mich herum egal, mir hätte die Decke auf dem Kopf fallen können ohne, dass ich es gemerkt hätte. Ich war so fasziniert von dieser Szene, dass ich einfach nur auf den Fernseher starte, der inzwischen nur noch ein schwarzes Bild zeigte. Ich konnte mich nicht bewegen, nichts sagen, ich war einfach nur weggetreten. Nach einiger Zeit, bis heute kann ich nicht sagen, viel lange dieser tranceähnlicher Zustand anhielt, schaute ich mir die gleiche Szene immer und immer wieder an. Bis es in meinem Gedanken zum „großen Knall“ kam
- ich stehe auf Frauen -. „Warum sonst hat mich die Szene so aus dem Leben gerissen? Warum kann ich an nichts mehr denken?“ Alles Fragen, die mich während des Abends durch den Kopf gingen. Aber immer wieder versuchte ich es zu verdrängen „dass kann doch nicht sein“, „ich stehe nicht auf Frauen“, „ich bilde mir das nur ein“. Alles Worte, die ich mir die nächsten Tage immer wieder sagte. Doch es half nichts immer wieder kam mir die Szene in den Sinn und mir war klar, Frauen sind das was ich will.
In den folgenden Tagen dachte ich über mich nach. Die Schule, meine Freunde, meine Geschwister, alles was mir vorher wichtig war, rückte in den Hintergrund. Ich war zu sehr mit der neuen Erkenntnis beschäftigt, dass ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte. Jetzt gab alles einen Sinn. Beginnend bei meinem Kleinkinderalter. Ich wollte nie mit Barbies spielen, ich liebte Werkzeug, draußen mit Jungs spielen und war schon früh handwerklich begabt. Mich fesselten immer nur die Mädchen in meiner Klasse, ganz selten mal, dass ich einen Jungen niedlich fand. Später im Teenageralter wollte ich immer wieder mit Mädchen weggehen und so was wie ihre beste Freundin sein, aber auch nur so was ähnliches, was dann wirklich dahinter steckte habe ich erst am 23.9.05 erfahren.
Im zarten Altern von 16 Jahren trat ein Mädchen in mein Leben, sie hieß Yvonne. Sie hatte blonde Haare und so grüne Augen, wie ich es noch nie zuvor gesehen haben und auch bis heute nicht. Da sie aber in Bayern wohnte, meiner damaligen Heimat, und ich in NRW schrieben wir uns Briefe und Sms mit Inhalten, die eher einer Beziehung zuzuordnen wären, als einer Freundschaft. Es wurde immer mehr und auch die Telefongespräche wurden länger. Nach zwei Monaten Brief“freundschaft“ bin ich überraschend nach Bayern gefahren, ich wollte sie sehen, mit ihr zusammen sein - jeden Tag. Als wir uns wieder sahen gab es erst mal eine lange Umarmung und ein Küsschen links und rechts. Sie nahm mich dann mit zum dem Jugendtreff, in dem sich auch Bekannte aufhielten, die ich kannte. Immer wieder schaute sie mich an und sagte „ Wow, ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bist“. Die Woche verging wir sahen uns, redeten sehr viel und es folgten zahlreiche Umarmungen. Einmal standen wir draußen und ich hab sie einfach nur in den Arm genommen und das sehr sehr lange. Keiner von uns beiden wollte den andern loslassen. Keiner sagte was. Sie brachte mich am selben Abend noch zu meiner älteren Schwester, bei der ich in dieser Woche über wohnte. Wir verabschiedeten uns wie immer mit einer Umarmung und den Küsschen links und rechts, aber diesmal landete der erste Kuss auf dem Mund und es dauerte länger bis sich unsere Lippen wieder voneinander lösten. Dieser Kuss hat meinen Körper betäubt, ich stieg aus und legte mich sofort ins Bett. Aber schlafen war unmöglich, denken war unmöglich, aber an was anderen denken konnte ich auch nicht. Hin und her gerissen davon schlug ich mir die ganze Nacht um die Ohren, doch ohne auf ein Ergebnis zu kommen. Ich wusste nicht was da passiert, warum ich sie so gern hatte oder warum wir uns geküsst hatten. Danach sahen wir uns genau noch einmal und das war auch der Tag des Abschieds. Ich war total fertig sie nicht mehr sehen zu können und wieder zurück nach NRW zu müssen. Dort erwartete mich nur Stress mit meiner Mutter und mit meiner Schwester. Ich wollte bei ihr bleiben und sie vor allem noch mal küssen. Doch dazu kam es nicht. Sie umarmte mich ein letztes Mal und war weg. Danach brach sie den Kontakt zu mir ab. Heute kann ich nur vermuten, dass sie auch von dem Kuss erschrocken war, denn danach war alles anders. Sie wollte keinen Kontakt mehr zu mir, ihr wurde es alles zu viel, so formulierte sie es. Wochenlang trauerte ich und ich dachte es geht um eine „gute Freundin“, mit der ich immer über alles reden konnte, doch mich hat das Leben ja eines besseren belehrt. Heute blicke ich lächelnd auf die Zeit zurück und frage ich, warum es damals nicht schon „klick“ gemacht hat. Nach Yvonne folgten nur noch Schwärmereien, kein Kuss mehr, weil es immer Heten waren, die dazu alle noch in einer glücklichen Beziehung waren.
Nach dem Tag, an dem die Wahrheit über mich selbst erkannte, versuchte ich mich überall davor zu verstecken. Ich dachte, jeder kann in mich hineinsehen und wird mich verachten. So zog ich mich immer weiter zurück, redete lange mit niemandem über das „Problem“. Ich schaffte mir einen Freund um mein Versteckspiel authentischer wirken zu lassen. Doch diese Beziehung konnte mich nicht erfüllen, immer wieder waren die Gedanken von einem Mädchen in meinem Kopf. Ich stelle mir vor, mein Freund hätte keinen Bart, lange Haare etc. Es frass mich auf, bis ich mich schließlich trennte. Doch schon bald nach der Trennung hatte ich wieder das Gefühl, jetzt bin ich Single und jeder weiß was mit mir los ist, also kam der nächste Freund. Es wurde eine schönere Beziehung, jedenfalls anfangs, doch auch hier konnte ich nicht das finden, wonach ich suchte. Kurz nach meiner Trennung, auch ca. 2 Jahre nach dem Coming – Out vor mir selbst, lernte ich das nächste Mädchen kennen. Sie war lesbisch, sah verdammt gut aus und hatte dazu auch noch braune Augen, welche mich immer fasziniert haben. Als ich sie erste Mal sah, wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich war total benebelt. Sie war so schön und flirtete mit mir, gerade mit mir, so ein wunderschönes Mädchen. Bei jedem Anruf und bei jeder Sms von ihr hatte ich diesen Gedanken, dieses bezaubernde Mädchen flirtet mit mir. Der Kontakt hielt hier ca. 1 ½ Monate. Ich war total verliebt, doch sie konnte sich nicht von ihrer Ex verabschieden, mit der sie die letzten sechs Jahre verbracht hatte. Auch sie enttäuschte mich.
Während dem Kontakt mit ihr dachte ich, sie wird meine erste feste Freundin, sie gab mir auch allen Grund zu dieser Annahme. Irgendwann kam dann der Zeitpunkt, indem ich fast geplatzt wäre, weil ich mit niemanden drüber reden konnte. Sie gab mir den Anlass mich das erste Mal vor anderen zu outen. Ich wählte einen sehr guten Freund aus, bei dem ich mir fast sicher war, dass es für ihn nichts verändern würde und so war es dann auch. Er hat mich so akzeptiert wie ich bin und es hat unsere Freundschaft sogar noch verstärkt. Es war ein tolles Gefühl endlich mit jemandem darüber reden zu können ohne krampfhaft Personalpronomen weglassen zu müssen oder sich Männernamen für sie auszudenken. Zwei Wochen nach meinem Outing vor ihm folgen die wichtigsten Menschen in meinem Leben und es fiel mir schwer zu sagen „ich flirte mit einem Mädchen“. Aber auf der anderen Seite war ich auch stolz, dass es genau dieses Mädchen war. An einem Abend outete ich mich vor meiner Cousine, ihrem Mann, meinen beiden Schwester und ihren Freunden. Es fiel mir bei jedem schwer, doch bis heute hab ich den Schritt nicht bereut. Keiner von ihnen verachtet mich, wie ich vorher dachte. Alles stehen hinter mir, ich kann die Blume beim Sprechen vom Mund nehmen. Es ist ein tolles Gefühl. Nie werde ich die Worte meiner Cousine vergessen, als ich das Geheimnis vor ihr offenbarte „bist du ne Lesbe? Man, find ich total gut.“ Es war alles halb so schlimm als ich dachte. Bis jetzt hab ich noch von keinem ein negatives Statement bekommen. Keiner verabscheut mich dafür. Das Mädchen mit den schönen braunen Augen brach zwar den Kontakt zu mir ab, aber die Zeit mit ihr missen möchte ich nicht. Es war jeder Tag aufregend. Die Telefongespräche, die Sms oder auch die zwei persönlichen Treffen, die wir hatten. Ich war zeitweise nicht mehr ansprechbar, weil ich nur noch an sie dachte, habe 6 kg abgenommen und fühlte mich einfach nur glücklich. Umso schlimmer war dann natürlich das Aus, welches von ihrer Seite kam. Bis jetzt hab ich da nur Nieten gezogen, aber ich bin froh, diese Erfahrungen gemacht zu haben. Heute am 26.9.07 würde ich mich vor keinem mehr verstecken. Das Leben ohne Versteckspiel gefällt mir besser und meine Freunde und Geschwister sind wieder näher an mich herangerückt und dass „nur“ wegen der der vier Worte „hey, ich bin lesbisch“.