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von jefferson
Das erste Mal war ein Spiel. Ich war 12 und sie war 15. Sie war die Tochter unserer Nachbarn und auch wenn meine Mutter es nicht gern sah, waren ich jeden Tag bei ihr, und wir meistens allein, da ihre Mutter lange arbeitete. Sie wollte Mutter, Vater, Kind spielen oder Hebamme. Ich war ihr williges Opfer. Am liebsten übernahm ich die Rolle des Vaters. Dann legte ich mich auf sie, wie ich es bei meiner Mutter und ihrem Freund gesehen hatte. Ich spürte dann immer so ein Kribbeln im Bauch und im Schoß. Das hat mir gefallen. Ich war aber auch gern die Hebamme, die mit den Fingern tastet, ob das Köpfchen schon raus kommt. Meine Freundin hat dann immer leise gestöhnt und gesagt, dass das Baby noch nicht raus will und ich weitermachen soll. Auch das war schön. Manchmal hab ich an ihren Brüsten gesaugt, um zu sehen, ob die Milch schon einschießt... Natürlich war ich auch hin und wieder die Mutter, dann lag sie auf mir, rieb sich an mir und drückte sich an mich. Aber ich durfte nie das Kind bekommen...
Ich fand das Spiel schön. So schön, dass ich eines Tages beschloss, es mit einer Klassenkameradin zu spielen. Sie hat auch sehr gern mit mir gespielt und sie hat auch leise gestöhnt und wollte nicht, dass ich schon aufhöre... Aber am nächsten Tag in der Schule hat sie allen erzählt, ich sei „schwul“. Wahrscheinlich hatte sie Angst, ich würde was sagen, oder sie hatte Angst vor sich selbst, auf jeden Fall war danach das restliche Schuljahr die Hölle für mich. Vor allem, weil ich sicher war, dass ich nicht „schwul“ bin und das alles doch bloß ein körperbetontes und erfüllendes Spiel war...
Das zweite Mal war kein Spiel. Ich war inzwischen 17 oder 18, hatte einige Jungs ausprobiert, war unstetig und genusssüchtig. Mein bester Freund schleppte mich mal wieder in eine dieser Bars. Ich sollte hier vielleicht anmerken, dass ich in Ost Berlin groß geworden bin, mein bester Freund schwul ist und es eine echte Trennung von irgendwelchen „Szenen“ nicht gab, was bedeutet, in diesen Bars gab es alles... Auf jeden Fall lernte ich sie dort kennen. Sie war Krankenschwester. Sie war intelligent, humorvoll, hatte ein Lachen, das einfach mitriss und ein so wunderschönes, offenes Gesicht voller Leben und Wissen, dass man sich dem kaum entziehen konnte. Ich spürte sofort dieses Kribbeln im Bauch und im Schoß. Ich wollte nur noch in ihrer Nähe sein, lechzte nach ihrer Aufmerksamkeit und winselte um eine Berührung von ihr. Es gab diese Berührung, und noch viele andere. Eine Nacht lang. Eine alles erfüllende Nacht lang. Dann erfuhr ich, dass sie in festen Händen war. Und auch wenn wir uns in den kommenden Jahren immer wieder trafen und ich nie wirklich von ihr los kam, blieb es bei dieser Nacht. War ich deswegen lesbisch...?
Nach ein paar weiteren Jahren und vielen Erfahrungen mit beiden Geschlechtern lernte ich plötzlich einen Mann kennen, der anders war, als alle anderen. Er war nicht nur warmherzig, intelligent und humorvoll, er war auch einfühlsam und rücksichtsvoll. Und trotzdem war er ein Mann und kein Weichei. Nach einem Jahr waren wir verheiratet und das erste Kind war unterwegs. Das zweite kam ein paar Jahre später. Und eigentlich müsste jetzt kommen: Und wenn sie nicht gestorben sind... Aber so kam es nicht, denn vor etwas mehr als einem Jahr trat eine junge Frau in mein Leben, die alles durcheinander wirbelte. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch, schrieben und tage- und nächtelang E-Mails und SMS und schon nach kurzer Zeit gestand sie mir, dass sie in mich verliebt sei. Ich hatte natürlich Angst und war geschockt und wollte sie abblocken, aber so einfach war das nicht, denn auch ich hatte mich in sie verliebt, aber wir bemühten uns um freundschaftliche Grenzen. Doch diese Grenzen dehnten sich immer mehr. Wir umarmten uns und erforschten vorsichtig unsere Körper. Alles in mir schrie danach, den letzten Schritt zu gehen, doch etwas hielt mich zurück. Ich hatte Angst davor, alles zu verlieren, also riskierte ich, sie zu verlieren. Ich ließ unseren Kontakt einschlafen.
Nun traf ich sie vor ein paar Wochen wieder und mit ihr kam auch dieses Kribbeln zurück. Und auch wenn wir uns geschworen haben, es bei unserer Freundschaft zu belassen, frage ich mich seit dem ständig, wie es weitergehen soll. Ich war viel im Netz unterwegs und habe in mir geforscht, was es ist. Ich weiß es. Ja, ich bin lesbisch. Ich stehe auf Frauen. Ich fand Sex mit Männern immer eher langweilig und konnte sehr gut darauf verzichten. Sogar mit meinem Mann, den ich aufrichtig und vor Herzen liebe, hab ich nie gern geschlafen. Und auch wenn er der einzige Mensch auf der Welt ist, dem ich blind vertraue und dessen Seele mir so nah ist, wie sonst nichts, stehe ich auf Frauen. Wenn ich von Sex träume, dann sind es Frauen, deren Körper ich mich mit meiner Zunge und meinen Fingern erobere. Es sind Frauen, die ich begehre und nach denen ich mich sehne...
Ich weiß nicht, wann ich den Mut und die Kraft finde, offen zu dem zu stehen, was ich will. Ich weiß nur, dass ich schon 40 Jahre für mein inneres Coming Out gebraucht habe und auf keinen Fall noch mal 40 Jahre warten will...
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40 Jahre...
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Deine Geschichte berührt.
Du willst nicht noch einmal 40 Jahre warten, liebst Deine Familie aber über alles.
Die wirklilche Lust empfindest Du nur für Frauen, tja , was was sollst Du da nun draus machen, aus den nächsten Jahren.
Ein Wirrwarr der Gefühle, ich denke Du mußt einfach mal durchstarten.
Sei lieb gegrüßt, Petra
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