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Ich bin Michelle

von Abbeyroad


Wie wundervoll das ist, wenn der Spätsommer sein mildes Licht ausgießt und dein Haar leuchten lässt! Du aber bemerkst es nicht, so verloren, wie du bist. Vorsicht, eine Wurzel, Liebste! Warte, ich halte deinen Arm. Siehst du, beinahe wärest du gestürzt...

Die Sonne malt Flecken auf die Lichtung. Sag: Magst auch du es so, wenn der Weg jäh in eine kleine Senke fällt, wo sich alte Wärme sammelt, ein süßer Schreck, ein ganz neuer Geruch? Wenn über dir die Wipfel leise rauschen und du in die murmelnden Blätter blinzelst, an denen noch Regentropfen glitzern - winzige, göttliche Edelsteine? Wie die Tränen in deinen Wimpern?

Auf einem Baumstumpf kauerst du dich zusammen. Mein Gott, wie wundervoll du aussiehst, wie unsagbar wundervoll, selbst jetzt! Ich greife nach dir, um dich vor einem herabfallenden Ast zu beschützen, aber du nimmst es gar nicht wahr. Deine Augen sind gedankenverloren. Was wartet auf dich am Ende dieses Blicks? Ich ahne es...

Jetzt zucken deine Schultern wieder. Sie ist dein allererster großer Girl Crush, habe ich recht? Natürlich habe ich recht. Ich weiß noch sehr gut, wie es sich anfühlt, wenn man als Mädchen ein Mädchen liebt. Zumal eines, das dich nur dann küsst, sobald es ganz sicher niemand sieht. Dann aber umso intensiver. Das dir ins Ohr haucht, dass du die ganz große, einzige Liebe bist. Das dich eine Sekunde später in der Öffentlichkeit verleugnet, sich mit den begehrtesten Jungs schmückt und oft, viel zu oft mehr Konkurrentin als Freundin sein will. Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Mir ging es mal ganz genau wie dir. Ist noch gar nicht so lange her.

Ach, Liebste, bei Janine werde ich dir nicht helfen können. Vergib ihr, sie ist trotz allem kein schlechter Mensch. Ihr fehlt einfach der Mut, sie hat noch einen weiten, dornigen Weg zu gehen. Wünsch ihr alles Gute und einen liebevollen Schutzengel, vergiss sie! Darf ich dich in den Arm nehmen? Himmel, wie gut du dich anfühlst! Wie schön du bist! Wie sweet du riechst! Ich weine ein bisschen mit dir, okay?

Liebste, vetrau mir: Auf dich wartet so viel Besseres! Aus meinem Instruktionsheft weiß ich, dass dir schon bald, sehr bald eine wundervolle junge Frau begegnen wird, die erste wirkliche Geliebte in deinem Leben. Wenn ich dir doch alles erzählen dürfte! Hey, vielleicht ist sie ja schon ganz in der Nähe, unterwegs zu dir...? Wollen wir hier auf sie warten?

O, wie heftig ich sie beneide! Und welch ein Eigentor - das dümmste der Weltgeschichte! Denn hätte ich’s nicht vermasselt, das Glück wäre stattdessen zu dir und mir gekommen. Du hättest an ihrer Stelle mich getroffen - exakt heute wäre unser Kennenlerntag! Und ich dein erstes Mal. Wir waren nämlich füreinander bestimmt: Instruktionsheft, Seite 3! Schon fast unleserlich unter den Tränenflecken.

Warum nur musste ich so voreilig sein, so blind, so bescheuert? Warum musste ich’s versauen? Ausgerechnet im allerwichtigsten Moment? Typisch für mich! Hab nie warten können, war viel zu dramatisch, wollte immer alles und sofort. Na ja, wenigstens ähnelt sie mir ein bisschen. Bildhübsches Mädchen! Nun möchtest du gern mehr wissen, stimmt’s? Aber leider, ich darf nichts verraten. Ich will dich doch nicht verlieren, ich hab dich viel zu lieb! Will unbedingt meinen Job behalten und bei dir bleiben - für immer.

Nun lächelst du endlich ein bisschen, Liebste. Hast mich also gehört. Steckst du bitte noch ganz schnell die Schachteln weg? Danke, schon viel besser! Wie gern würde ich dich jetzt an mich ziehen und küssen, wie einfach wäre das...! Gerade in diesem Moment, da du so kummervoll, dünnhäutig und verletzlich bist. Blöderweise ebenfalls verboten, bei Strafe des Kontaktabbruchs.

Sagte ich dir schon, wie schön du bist? Ach, ich möchte es dir von morgens bis abends ins Ohr flüstern! Himmel, was hätte ich darum gegeben, dich für mich zu haben! Warum konnte ich nicht darauf vertrauen, dass Kummer einzig dafür gemacht ist, wieder zu vergehen; dass mir die Zukunft etwas so Wundervolles wie dich geschenkt hätte? Warum habe ich nicht der leisen Stimme gehorcht? Meiner liebevollen, herzensguten Patronin? Sie war doch bei mir! Damals - kurz bevor ich beauftragt wurde, auf dich achtzugeben.

Damals, als ich noch nicht dein Schutzengel war.

Wie wundervoll das ist, wenn der Spätsommer sein mildes Licht ausgießt und dein Haar leuchten lässt! Schau, Liebste, siehst du den Sonnenstrahl dort auf dem Blatt tanzen? Der kommt von mir! Mein Geschenk an dich. Denk an ihn, wenn du mich am meisten brauchst! Ich verspreche, ich werde bei dir sein.

Wer ich bin?

Ich bin Michelle, süß und bildhübsch, tot aufgefunden mit 17 Jahren im spätsommerlichen Stadtwald. Qualvoll gestorben durch eine Überdosis Tabletten. Selbstmord aus Liebeskummer wegen eines anderen Mädchens, das mich längst vergessen hat.




copyright © by Abbeyroad. By publishing this on lesarion the author assures that this is her own work.



comments


Schutzengel
Auch wenn ich mir eigentlich eher nur rationale Sach- und Fachtexte gebe und mit Romanen, Fantasy, Mystery... so gar nix am Hut habe - dachte ich zumindest... - so haben mich Deine Zeilen doch sehr erreicht und berührt! Und irgendwer hat hier, während ich sie gelesen habe, anscheinend auch Zwiebeln geschnitten...
Naturwesen - 07.02.2023 17:57
Begegnung mit meiner Vergangenheit
Sabsi01 - 17.08.2022 12:01
Vielen lieben Dank!
Abbeyroad - 27.04.2021 01:48
Bewegend...
AliceUgrow87 - 26.04.2021 13:00
Dankeschön!
Abbeyroad - 09.03.2021 13:28

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