von Kiwiina
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Noemi:
Völlig außer Atem hetzte ich noch immer die vielen Treppen der sechs Stockwerke hinunter, ohne noch einmal zurück zu blicken. Beinahe fühlte ich mich als würde ich verfolgt werden, so sehr wie sich mein Herzschlag mit meinen im Treppenhaus wiederhallenden Schritten überschlug.
Als ich endlich nach Luft schnappend aus der Eingangstür torkelte, brannten meine Oberschenkel wie Feuer, während sich mein Herz in einem lautstarken Stakkato darüber entrüstete was ihm heute alles zugemutet wurde.
Mit zitterndernden Händen berührten meine Finger die Stelle an meiner Brust unter der es sich befand, so als ob sie es dadurch beruhigen könnten. Doch es schlug nur umso heftiger gegen die knöcherne Brust von der es gefangen gehalten wurde. Wie sehr es doch so gerne wieder zurück zu dem Mädchen mit den schokoladenbraunen Haaren und den dunklen Augen kehren, es erneut küssen und sich wohlig beschwingt anstatt wie nun so abgehetzt zu fühlen.
Erschöpft lehnte ich mich an die kalte Hauswand hinter mir und zwang mich dazu langsam und tief durchzuatmen. Ich hatte es einfach keine Sekunde länger in dieser Wohnung aushalten können. Unter all den neugierigen Blicken und all den Frauen, für die diese ganzen Gefühle, die mich verwirrten und mir neu waren, völlig selbstverständlich erschienen. Wie könnten sie, geschweige denn Alex mich jemals verstehen? Im Nachhinein erschien vieles so leicht, auch wenn ich mir sicher war, dass keine von ihnen hätte mit mir tauschen und sich in die Zeit zurück versetzen wollen, in der so vieles noch vor einem und im Ungewissen lag. Wie Freunde und vor allem die Familie darauf reagieren würde, sollte man ihnen zum ersten Mal einen gleichgeschlechtlichen Partner vorstellen. Ob man Unterstützung oder Abneigung, ja vielleicht sogar Hass oder Ekel erfahren würde? Wie man selbst mit dieser Ungewissheit klar kam und zum ersten Mal alles in Frage stellte was man jemals geglaubt hatte zu sein. Wenn man endlich den Mut hatte, sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse über die Ansprüche und Erwartungen der Außenwelt zu stellen. Was war dann und war ich tatsächlich bereit für das alles?
All diese Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf während ich nach Atem ringend in der kalten Nachtluft vor dem großen Wohnhaus stand. Ein kalter Windstoß wirbelte meine Haare auf, die unter dem matten Licht der Straßenlaterne eher orange als blond erschienen. Um meine Hände zu stützen schob ich sie in die großen Taschen des molligen Mantels, den ich immer noch trug. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich immer noch Alex´s Jacke anstatt meiner eigenen an hatte, als in den Taschen mir unvertraute Gegenstände erfühlte. Unter anderem etwas, das sich wie ein Hausschlüssel und ein kleines Portemonnaie anfühlten.
„Oh nein …“ keuchte ich beinahe auf. Unmerklich wanderten meine Augen nach oben, als ob sie dadurch Alex erhaschen könnten, die immer noch dort oben irgendwo stand... ja vielleicht auf mich wartete.
Ein Kloß machte sich in meinem Hals breit, während sich ein unbehagliches Stechen in meinen Augen ausbreitete.
„Verdammt, Noemi, du wirst jetzt doch wohl nicht anfangen zu heulen??“ Entrüstete sich mein inneres Ich vor mir selbst. Ich schluckte also schwer und versuchte das Unbehagen zu verdrängen.
Was sollte ich nun tun? Ich würde einen Teufel tun jetzt noch einmal nach oben zu gehen nur um Alex ihren Mantel zurück zu geben. Selbst der Versuch dies heimlich tun zu wollen, um meine Jacke mit ihrer am Eingang austauschen, beinhaltete eine viel zu große Wahrscheinlichkeit ihr bei dieser Aktion direkt in die Arme zu laufen. Ich schlug sie deshalb ebenfalls sofort in den Wind.
Was anderes blieb mir also übrig? Ich konnte doch nicht einfach mit ihren Sachen abhauen?
Als ich bibbernd vor Kälte auf dem Gehsteig auf und ab ging konnte ich mit einem Mal mehrere Stimmen aus dem Treppenhaus und das überschwingliche Poltern von Schritten wiederhallen hören. Völlig perplex huschte ich um die nächste Hauswand, um mich zu verstecken... Was zur Hölle war eigentlich in mich gefahren? Ich benahm mich vollkommen kindisch .. dämlich um genau zu sein.
Erst als sich eine ganze Traube eifrig schwatzender und lachender Mädchen auf die beleuchtete Straße entlud und ich einige von der Party wieder erkannte, bereute ich meine Entscheidung nicht mehr.
Als ich mit einem Mal Alex Stimme in dem Stimmengewirr ausmachen konnte, duckte ich mich noch ein Stückchen mehr, während mir der Klang einen leichten Stich verpasste und meine Augen erneut begannen sich mit diesem stechenden Brennen zu füllen. Erneut wurde mir schmerzlich bewusst wie wenig Alkohol ich wohl vertrug, denn diese völlig absurden Körperreaktionen erschienen mir alles andere als nur im Geringsten angebracht.
Überzeugt zwang ich mich dazu tief durchzuatmen, um mich zu beruhigen.
Als sich die Gruppe langsam zerstreute, traute ich mich zum ersten Mal wieder auf die Straße. Ich hatte irgendetwas von einem Club oder einer Bar namens „Mélo“ gehört. Laut Google Maps nur zwei Seitenstraßen von hier entfernt.
Kurz war ich noch unentschlossen, ob ich den anderen folgen sollte, doch dann holte mich mein schlechtes Gewissen ein. Ich sollte Alex ihre Jacke zurück bringen, ob ich nun wollte oder nicht. Ich ließ den Mädchen ein wenig Vorsprung, bevor ich mich ebenfalls aufmachte und leicht eingeschüchtert das Kellergeschoß mit den glühenden Néon Buchstaben über dem Eingang betrat. Laut dröhnte mir die Musik entgegen und die warme, angestaute Luft in dem kleinen, gemütlichen Schuppen, brachte meine Wangen sofort zum Glühen.
An einem kleinen Tisch neben der Bar konnte ich Julia alleine sitzend ausmachen, die mich freundlich anlächelte.
„Noemi!“ Sie umarmte mich zur Begrüßung.
„Bin ich froh, dass es dir gut geht! Alex und ich haben uns schon Sorgen gemacht!“
Alex hat sich Sorgen gemacht? Meine kalten Glieder wurden von einem warmen Strom von Aufruhr durchflutet. Die Gedanken an Alex und den Kuss den wir noch vor wenigen Momenten geteilt hatten, ließen meinen Bauch zittern und mein Herz erneut flattern. Was wenn sie ebenfalls gleich an diesen Tisch zurück kehren würde?
Leicht ängstlich blickte ich hinüber zu der Bar, an der jedoch nur eine Hand voll Männer auf den Barhockern saßen und Bier tranken.
„Falls du Alex suchst...“ stupste mich Julia neckisch an,
„, die ist im Nebenraum auf der Tanzfläche.“
Eine Tanzfläche? Hier in dem kleinen verrauchten Schuppen? Dankbar nickte ich Julia zu. Erneut erinnerte ich mich selbst daran ihr lediglich die Jacke zurück geben zu wollen, um mich im Anschluss endlich aus dem Staub machen zu können. Ich musste dringendst über einige Dinge nachdenken und sie überschlafen.
Mit klopfendem Herzen trat ich langsam in den Nebenraum. Ich zog die Jacke aus und hängte sie kurzerhand über meinen rechten Arm. Es war einfach wahnsinnig warm hier drinnen oder war ich womöglich diejenige, die innerlich so derartig kochte?!. Die Tanzfläche war nicht besonders groß.. vielleicht so breit und lang wie ein Sprinter und trotzdem tummelten sich um die zwanzig Menschen auf ihr.
Ich musste gar nicht lange suchen, um sie zu finden. Die langen, braunen Haare wippten eindrucksvoll im Takt der schweren Musik während sie ihre Hüften sanft und geschmeidig hin und her bewegte. Ich musste Lächeln, als ich sah, dass sie ihre Augen geschlossen hielt, wohl um völlig eins mit der Musik zu sein. Unmerklich geriet auch mein Körper in ein sanftes Wippen. Ich atmete tief ein, während ich mich langsam in ihre Richtung bewegte. Mit jedem Schritt mit dem ich mich ihr näherte schien mein Herz stärker gegen meine Brust zu schlagen und mein Körper erneut in Endorphinen zu versinken.
Als ich endlich direkt neben ihr stand, tanzte sie immer noch völlig unbeschwert, während sie in den bunten Lichtern des kleinen Raums badete und erneut ihr Parfüm aufwirbelte, welches meine Sinne betäubte.
Plötzlich trat sie einen Schritt zurück und tanzte nun direkt vor mir. Ihre schokoladenbraunen Haare wippten direkt vor meiner Nase auf und ab, während ihre Hüften verführerisch vor meinen kreisten.
Ich musste schwer schlucken. In meinem Unterleib breitete sich ein warmes Gefühl aus, während ich ihren schmalen Rücken und den wunderschön geformten Körper wenige Zentimeter vor mir betrachtete. Sie war mir so nah, dass ich beinahe die Wärme spüren konnte, die ihr Körper ausstrahlte. Ich konnte einfach nicht mehr... Nicht mehr klar denken, geschweige denn mich daran erinnern, was es eigentlich gewesen war weswegen ich her gekommen war.
Meine Hände griffen langsam nach Alexs Hüfte, bevor sich meine Lenden sanft an ihren Körper schmiegten und sich mit ihm gemeinsam zu bewegen begannen. Erneut an diesem Abend wurde mein Atem schwer, als meine Nase in dem wohl riechenden Duft ihrer Haare versank und sich meine Hände fester in ihrer Hüfte vergruben. Als ich sie kurzer Hand dazu brachte sich zu mir umzudrehen, blitzten ihre Augen noch einmal für einen kurzen Moment auf, mit einer Mischung aus Unglauben und Verlangen, bevor ich sie mitten auf der Tanzfläche küsste. Ich hatte längst alles vergessen was um uns herum passierte. Die Musik verklang zu einem einheitlichen Rauschen, während nur noch der dröhnende Bass in unseren Körpern vibrierte. Ich vergaß all die Menschen die um uns herum standen und den Mantel, der immer noch unter meinem Arm klebte, während wir uns küssten.
„... Also … was wolltest du mir sagen?“ Alex Frage riss mich endlich wieder aus meiner schimmernden Welt voller Behagen und Friedfertigkeit. Ich hatte es geschafft sie dazu zu bringen mir ins Freie zu folgen, nachdem uns auf der Tanzfläche ein wenig zu viel Aufmerksamkeit von dem anwesenden männlichen Publikum zuteil geworden war, aber was nun?
Die kalte Nachtluft brachte meinen Verstand wieder auf Touren, während mein Körper sich beinahe dagegen wehrte, Alex weichen Mantel wieder gegen meine eigene Jacke, die Alex seltsamerweise bei sich hatte, einzutauschen.
„Ich, ähm...“ begann ich herum zu drucksen.
Was wollte ich ihr eigentlich sagen? Sollte ich so ehrlich sein und ihr erzählen wie wohl ich mich in ihrer Nähe fühlte? Wie sehr mich ihre Küsse und Berührungen aufwühlten und wie sehr sie es mir angetan hatte? War das nicht alles viel zu viel und ging viel zu schnell? Vielleicht war es ja für Alex einfach nur diese eine Nacht für die sie sich interessierte... ein Abenteuer ohne größere Bedeutung. Eine weitere Erfahrung, wenn auch eine sehr unerwartete und doch so schöne...
Ich spürte wie meine Wangen erröteten und ich abermals drohte in ein unbeholfenes Gestammel zu verfallen. Alex blickte ebenfalls zu Boden. Jedoch nur für einen kurzen Moment, bevor sie auf mich zu kam. Unsicher blickte ich sie an. In diesem Moment war ich froh, dass es hier draußen so dunkel war und sie weder mein glühendes Gesicht, noch meine geröteten Augen oder mein leicht verwischtes Makeup genau erkennen konnte.
Sie zögerte für einen kurzen Moment bevor sie meine Hände in ihre nahm. Ihre Handflächen waren so weich und wärmten meine kalten Fingerspitzen, während sie sich schützend um sie legten.
„Noemi...?“ Diese Frage, ganz egal ob sie nur ein Wort enthielt und obgleich es sich nur um meinen Namen handelte, bedeutete und sagte mir alles. Gab mir zu verstehen, dass wir beide das gleiche dachten und fühlten. Dass wir beide, egal wie unsicher wir uns waren uns doch eigentlich das selbe sagen wollten. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich diejenige war, der den ganzen Abend lang der Mut dazu gefehlt hatte.
Ich umschloss ihre Finger mit einem festen Druck, der ihr sagen und verdeutlichen sollte, dass ich dieses Mal nicht davon laufen und sie alleine lassen würde. Ich war hier und ich würde es auch bleiben, wenn sie das wollte.
Anstatt mir zu antworten, machte sie noch einen weiteren Schritt auf mich zu und küsste mich sanft auf die Stirn. Ihre paar Zentimeter Größenvorteil, kamen ihr wohl doch noch zu Gute.
Mit klopfendem Herzen, lächelte ich zu ihr auf, als sie sich daraufhin wieder zurücklehnte.
„Soll ich dich nach Hause bringen?“ Alex sah sich sorgsam um. Vermutlich versuchte sie ein Taxi auszumachen, denn die Straßenbahn fuhr um diese Zeit nicht mehr.
Wahrscheinlich hatte sie genauso wenig Lust wieder nach drinnen auf die Tanzfläche zurück zu kehren wie ich, jetzt wo unsere Knie zitterten und einige interessierte Zuschauer wohl nur darauf warteten, dass wir uns drinnen erneut unserer Umgebung vergaßen.
„Gerne.“ Gab ich ihr leicht verlegen zurück. Ich kannte mich noch kein Stückchen in der Stadt aus und wollte viel lieber mit Alex, als mit Julia durch diese kalte Herbstnacht streifen. Kurz tippte Alex noch etwas in ihr Handy, wohl um Julia Bescheid zu sagen, dass wir gehen wollten, bevor wir uns zu einer Nachtbus Haltestelle in der Nähe aufmachten.
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