von Kiwiina
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Noemi:
Ein wenig unsicher betrat ich die Wohnung im sechsten Stock, deren Tür für mich ein wenig geöffnet worden war. Bestimmt hatte ich eine gute Stunde damit verbracht die kleinen Straßen in der Umgebung nach dem richtigen Haus abzusuchen. Ich hatte noch einige Kartons zu Hause ausgepackt, bevor ich der Einladung meiner neuen Nachbarin gefolgt war und mich dazu überwunden hatte in die S-Bahn zu steigen. Es war sehr nett von ihr mich zu der Party einzuladen obwohl sie mich doch eigentlich gar nicht kannte.
Es war immer schwierig sich in eine neue Umgebung hineinzufinden aber, dass ich mit einer deutschen Mutter und dadurch zweisprachig aufgewachsen war, machte es mir zumindest ein wenig leichter, mich in meiner neuen Heimat zurecht zu finden. Wegen einem Jobangebot meines Vaters und den guten, vielfältigen Deutschen Universitäten hatte ich gemeinsam mit meiner Familie alle Zelte in Oslo abgebrochen und einen Neustart gewagt.
Ein wenig müde und mit klopfendem Herzen öffnete ich die Tür einen Spalt und lugte hinein. Ich konnte laute Musik und angeheiterte Gespräche zu mir durchdringen hören. Hinter der Türe stand niemand, also ließ ich mich selbst hinein. Da ich nicht sofort über einen Haufen von Schuhen am Eingang stolperte, nahm ich an, dass es in Ordnung war diese anzubehalten... Vermutlich besser, sollte sich zu späterer Stunde der ein oder andere Getränkeinhalt unglücklich auf dem Boden verlieren. Zumindest kannte ich diese Situationen nur allzu gut von den Partys auf denen ich in Oslo gewesen war... anscheinend waren die Deutschen ja doch nicht so völlig anders wie ich vielleicht befürchtet hatte.
Ich zog meine Jacke aus und hängte sie zu den anderen an die Gardarobe. Noch einmal holte ich tief Luft, bevor ich mich durch den kleinen Flur auf den Raum zubewegte in dem ich bereits einige Menschen mit Plastikbechern in der Hand stehen sehen konnte. Ich war ziemlich aufgeregt, da ich ja wirklich niemanden kannte und hoffte möglichst schnell Julia ausfindig zu machen, damit ich mich ihr anschließen konnte.
Als ich das Wohnzimmer betrat, sahen mich die vornehmlich weiblichen Partygäste neugierig an. Seltsam wie beobachtet ich mich auf einmal fühlte... hatte ich womöglich ein falsches Outfit gewählt oder fragten sie sich was ich hier machte? Oh Gott bestimmt kannten die sich alle und wunderten sich warum ich überhaupt hier war. Vielleicht war es ja auch meine Frisur.. trug man denn in Deutschland lieber freche Kurzhaarfrisuren wie die Meisten hier? Ich spürte wie meine Wangen rot wurden … sah wie mich die Frauen immer noch aufmerksam von oben bis unten beäugten. Angestrengt mühte ich mir ein freundliches Lächeln ab und strich meine langen, blonden Haare nach hinten, bevor ich begann den Raum unsicher mit den Augen nach Julia abzusuchen.
Zu meiner linken Seite war neben der Musikanlage auch ein Tisch mit diversen Getränken und leeren Papbechern aufbereitet. Auf der anderen Seite stand eine Große Couch und ein paar Stühle die darum herumgereiht waren. Sie war jetzt schon überfüllt und abermals wunderte ich mich warum auf dieser Party tatsächlich nur Frauen zu sein schienen. Ein Mädchenabend in diesem Ausmaß erschien mir völlig untypisch aber ich schob es abermals auf das neue ungewohnte Land. Vielleicht kamen ja später noch einige Jungs dazu.
Ich schüttelte den Gedanken also ab und atmete erleichtert auf, als sich in diesem Moment die Balkontür auf der anderen Seite des Raumes, mir gegenüber öffnete und ich endlich Julia mir entgegenkommen sah.
Freudig ging ich eilig einige Schritte auf sie zu bevor ich sie umarmte und ihr einen Kuss auf die Wange gab. Ich wusste zwar, dass man sich in Deutschland eigentlich die Hand geben sollte aber es gab einfach einige Dinge die ich nicht von heute auf morgen ändern konnte oder vielleicht auch einfach nicht wollte.
„Hey Julia, Gott ich bin froh dich zu sehen. Tut mir leid, wenn die Begrüßung ein bisschen stürmisch war“ entschuldigte ich mich kurz bei ihr. Sie lachte allerdings nur unbekümmert.
„Mach dir keine Gedanken, alles gut! Das nächste mal schreibst du mir einfach, dass du da bist dann musst du nicht ganz alleine in der Ecke stehen.“ Sie sah sich kurz in dem überfüllten Raum um.
„Hm.. Katja scheint gerade nicht hier zu sein. Ich werde sie dir nachher vorstellen, immerhin ist das ihre Party.“ sie zwinkerte mir zu. „darf ich dir dafür jemand anderen vorstellen?“
In dem Moment in dem sie sich umdrehte, fiel mir das hübsche Mädchen auf, das an der Balkontür stand und wohl zusammen mit Julia gerade von draußen rein gekommen war. Offensichtlich war ich doch nicht die einzige mit langen Haaren, stellte ich erleichtert fest. Im Gegensatz zu meinen Haaren, die ich manchmal viel zu kraftlos fand, fielen ihre langen, dunkelbraunen Haare ganz natürlich in sanften Wellen, bevor sie sich an den Spitzen lockten. Julias krauser Wuschelkopf machten unser Dreiergespann an Vielfalt komplett, dachte ich mir kurz und musste lachen.
Als ich bemerkte, dass mich das Mädchen mit den dunklen Haaren bemerkt hatte, lächelte ich ihr freundlich zu. Das Lächeln das mir antworte, berührte mich auf eine seltsame Art und Weise... es war so offen und aufrichtig, sodass sich mein eigenes noch einmal verbreiterte.
„Alex, das hier ist Noemi!“ kündigte mich Julia an während wir beide einige Schritte auf das Mädchen zugingen. Alex hieß sie also … der Name passte! Auf ihrem Grinsen, das mir immer noch erwiedert wurde konnte ich etwas freches und geheimnisvolles erkennen. Leicht schief, hob sie den rechten Mundwinkel ein wenig höher als den linken, sodass sich das zweite Grübchen, im Gegensatz zum Ersten, auf dieser Seite im Verborgenen hielt. Ihre Augen funkelten mehr, je näher ich ihr kam. Seltsam wie warm mir auf einmal innerlich wurde. Bestimmt war das nur die normale Nervosität die einen überkommt wenn man zum ersten Mal einen neuen Menschen kennen lernt, versuchte ich mich zu beruhigen. Alles ganz normal...
In dem Moment, als ich sie beinahe erreicht hatte und mich schon innerlich auf den Händedruck bereit gemacht hatte, spürte ich neben mir plötzlich einen Windhauch und ein großes Mädchen mit kurzen schwarzen, hoch gekämmten Haaren und Lederjacke auftauchen. Kurz war ich irritiert...
„Hey Julia, wen hast du denn da Nettes mitgebracht?“ Das Mädchen drängte sich direkt vor Julia und mich und versperrte uns den Weg zum Balkon. Ich mochte die Art wie sie mich ansah nicht. Ihre forschen Blicke gaben mir nicht das Gefühl angesehen, sondern aufgespießt zu werden. Völlig schamlos musterte sie mich einmal komplett von Kopf bis Fuß, bevor sie mich verschmitzt angringste. Ich war nicht blöd. Auch wenn mir die Situation unvertraut war, wurde mir in diesem Moment doch mehr als deutlich bewusst, was dieses Mädchen tatsächlich von mir wollte.
„Ach, Sam, sei doch nich immer so unhöflich. Das hier ist Noemi, aber vielleicht stellst du dich nächstes Mal lieber zuerst vor!“ Die ganze Sache war mir unangenehm. Ich warf Julia einen Hilfesuchenden Blick zu. Sie schien relativ schnell zu begreifen, dass ich dieses Mädchen wohl nicht besser kennen lernen wollte. Ich hatte kurz Angst sie würde mir mein Verhalten als Vorurteil anrechnen. Doch sie lächelte und nickte mir kurz zu. Offensichtlich war meine Sorge unbegründet. Stattdessen legte sie ihren Arm um Sams Schulter.
„Aber Sam komm doch erstmal mit mir mit, ich hab dich ja schon eeeeeeewig nicht mehr gesehen...!“ Leicht forciert, zog sie Sam ein Stückchen zur Seite, damit ich entwischen konnte. Erleichtert formte ich meinen Mund zu einem stummen „Danke“ bevor ich mich eilig ein paar Schritte entfernte. Zum Glück sah ich durch die Fenster am Balkon Alex alleine draußen stehen. Ihre Gegenwart war im Moment die einzige die ich suchen wollte... außerdem hatten wir uns ja noch nicht einmal richtig einander vorgestellt.
Ich öffnete also die Balkontür und huschte nach draußen.
Alex stand Gedankenverloren am Geländer und rauchte eine Zigarette. Wieder fiel mir auf wie schön sie war, als ein Windstoß ihre Haare in Wogen versetzte.
Ich musste lächeln.
„Kann ich auch eine haben?“ Alex drehte sich zu mir um. Ich hoffte, dass ich sie nicht gestört hatte. Vielleicht hatte sie über etwas wichtiges nachgedacht. Doch sie erwiderte ebenfalls mein Lächeln und reichte mir ihre Schachtel. Ich hatte schon ewig keine Zigarette mehr geraucht aber es war leichter meine Nervosität zu verbergen, wenn ich etwas in den Händen halten konnte. Auf Partys war mir das schon öfter so ergangen. Sie fragte mich ob es mir hier gefallen würde. Ich fühlte mich sehr wohl in ihrer Nähe.. dass das an dem Glimmstängel in meiner Hand lag, bezweifelte ich allerdings. Gerade als ich ihr antworten wollte, bemerkte ich, dass sie auf einmal verwirrt auf ihre vollen Hände blickte. Ich musste lachen, als ich realisierte was in ihr vorging... Diese Deutschen und ihre Höflichkeit... Sie wollte mir bestimmt die Hand geben. Auf eine seltsame Art und Weise, war ich froh, dass sie es nicht konnte. Ihre dunklen Augen blitzten mich leicht verlegen an. Irgendwie süß...
„Was habt ihr Deutschen nur immer mit eurem Hände schütteln? Keine Sorge, wir begrüßen unsere Freunde sowieso anders.“ Sie war ganz offensichtlich irritiert, denn ihre dunklen Augen verhakten sich mit einem fragenden Blick in meinen.
Ich machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu. Als ich ihren Becher zur Seite schieben wollte, berührten sich unsere Hände. Offenbar verunsichert blickte Alex zu Boden.. ich wollte sie nicht verunsichern, aber genauso wenig wollte ich nun noch zurück. Ihr Körper strömte mir soviel wohlige Wärme entgegen, dass ich seltsamerweise näher an sie heranrückte als ich ursprünglich gewollt hatte. In dem Moment in dem ich ihre Wange mit meiner berührte, fühlte ich ein ungewohntes Knistern an der Stelle an der ich ihre sanfte Haut streifte.
Überrascht zog ich mich zurück. Alex folgte meiner Bewegung ein wenig ins Leere. Zum Glück hatte sie ihre Augen gerade geschlossen, denn sonst hätte sie gesehen wie nah sich unsere Gesichter in diesem Moment waren. Ihre Lippen waren nur einen Atemhauch von meinen entfernt. Sie waren lang und geschwungen. Ihre Stupsnase berührte beinahe die meine und zum ersten Mal nahm ich ihr angenehmes Parfum war.
Plötzlich fühlte sich mein Magen an als ob ein Ameisenschwarm daraus in alle Richtungen losstürmen würde... was zum Teufel war denn los mit mir? Was hatte das denn bitte jetzt zu bedeuten???
Hastig trat ich einen Schritt zurück. Alex öffnete Ihre Augen gerade als ich weit genug entfernt war um hoffentlich nicht mehr erkennen lassen zu können was gerade in mir vorging. Ich musste hier weg!
Ich bedankte mich knapp angebunden für die Zigarette. Meinen Mund allerdings konnte ich nicht daran hindern ihr ein letztes Lächeln zuzuwerfen bevor ich den Balkon verließ.
Als ich die Tür hinter mir hastig schloß, rempelte ich aus Versehen ein Mädchen an, das am Fenster neben mir stand. Schnell entschuldigte ich mich bei ihr... was war denn eigentlich gerade passiert? Ich hatte noch keinen tropfen Alkohol zu mir genommen und fühlte mich bereits leicht beschwipst. In dem Moment als ich mich noch einmal bei dem Mädchen entschuldigte, fiel mein Blick auf ihre Hand in der sie die Hand des Mädchens neben ihr umschlungen hielt.
Leicht irritiert drehte ich mich um und steuerte den Wohnzimmertisch an auf dem ich zuvor die Getränke gesehen hatte, wie mir mit einem Mal in schlagartig in Erinnerung kam.
Als ich gerade einen Becher mit Wodka-O gefüllt und den ersten Schluck genommen hatte, bemerkt ich zwei weitere Mädchen die auf der anderen Seite des Tisches standen und sich gerade in diesem Moment küssten. Beinahe hätte ich den Schluck den ich soeben genommen hatte wieder in hohem Bogen über den Tisch gespuckt...
Oh mein Gott!!! Wie hatte ich nur so dermaßen blind sein können? Hastig ließ ich meinen Blick erneut durch den gesamten Raum schweifen. Nun war mir klar auf was für einer Art Party ich da eigentlich gelandet war.
Ich krallte mir meinen Becher und stürmte aus dem Wohnzimmer, durch den Flur ins Bad und schloss hinter mir ab. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Ich hatte mich nie für einen Menschen mit Vorurteilen gehalten und auch wenn ich bis jetzt nie jemand Homosexuellen in meinem Bekannten-, geschweige denn Freundeskreis gehabt hatte, wusste ich ja wohl, dass es so etwas gab und völlig normal war! Also warum reagierte mein Körper völlig willkürlich mit einem derartigen Adrenalinstoß und Fluchtreflex??
Ich zwang mich dazu tief durchzuatmen und spritzte mir erst ein mal ein wenig kaltes Wasser auf die Wangen, bevor ich mich selbst im Spiegel betrachtete...
Ich war schon einmal an diesem Punkt gewesen. Ein Moment in dem man sich fragte, ob man wirklich ehrlich zu sich selbst und offen für das was man tatsächlich wollte und brauchte war.
Ein Grund warum es mir unter anderem so leicht gefallen war, Norwegen zu verlassen, war die Tatsache dass ich dort keine Liebe gefunden hatte. Ich hatte zwar einige Freunde gehabt, aber immer nie wirklich lange. Nach einigen Wochen, im Besten Fall ein paar Monaten hatten sich meine Gefühle verflüchtigt und ich hatte die Beziehung wieder beendet. Ich hatte mich mit der Tatsache abgefunden, dass ich mich nunmal einfach schwer verliebte.
Als mich jedoch vor kurzer Zeit eine Freundin darauf angesprochen hatte, ob ich vielleicht auf „anderes“ stehen würde, hatte ich den Gedanken entrüstet abgetan . Zu groß war die Distanz zu einer für mich unbekannten Welt in der es tatsächlich die Möglichkeit gab als Frau mit einer Frau zusammen sein zu können.
Und jetzt??? Noch nie war mir dieser Gedanke so knallhart ins Gesicht gesprungen wie in diesem Moment! Ein Gedanke der mit einem Mal alles andere als unnahbar und realitätsfern erschien.
Ich spürte immer noch mein Herz gegen meine Brust hämmern. Plötzlich musste ich an Alex denken. Wie mein Bauch völlig unerwartet von diesem Kribbeln überrumpelt worden war und wie nahe sich unsere Gesichter gekommen waren...
Gedankenverloren berührte ich meine Lippen mit meinen Fingern. In meinem Kopf spielte eine Szene, die mich zwar verunsicherte, sich jedoch nicht mehr abstellen ließ. Eine Szene in der ich mehr als alles andere ihre Lippen auf meinen spüren wollte... sie berühren wollte … und sie küsste.
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