von leeenaaa
Langsam schaue ich aus dem beschlagenen Fenster. Die Welt fliegt an mir vorbei, wenn auch träge. Der Bus hält. Türen springen auf. Ich steige aus, blicke mich um. Rieche die Luft, die ich 2 Jahre lang nicht gerochen habe. Spüre den Wind, den ich 2 Jahre nicht mehr im Nacken gespürt habe. 2 Jahre ist es her.
Zögernd mache ich den ersten Schritt in dir. Noch mehr Risse zieren den grauen Asphalt. Ich bin an der Bushaltestelle am Markt. Normalerweise steige ich immer vor unserm Haus aus. Ich ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht. Obwohl deine Straßen relativ leer sind, habe ich Angst erkannt zu werden. Oder, nach 2 Jahren?
Schnell laufe ich den Weg zu deinem Park hinunter. Salzteichpark. Seine grünen Kronen habe ich vermisst, sie haben mich zur Königin gekrönt, wenn auch nur für eine Zeit. Das ist das schönste an dir. Immer gewesen. Ich schließe die Augen, zwinge meine Lungen deine Luft tief einzusaugen. Ich war so lang in der Großstadt, dass ich fast vergessen habe, wie Zuhause riecht.
Während der Fahrt hatte sich mein Kopf verschiedene Szenarien ausgemalt, wie du dich womöglich verändert hast. Nur auf das Einfachste, Plausibelste bin ich nicht gekommen: Dass alles ist, als hätte ich dich nie verlassen.
Als ich das Tor zum Park sehe, verfalle ich in einen leichten Trab. Muss meinem Kopf Zeit lassen, die Bilder zu laden. Endlich stehe ich vor deinem Salzteich. Atme ein, Atme aus. Die Vögel singen, die Mauern brüllen, alles schreit mir ein ``Willkommen`` zu. Ich setze mich auf die alte Holzbank am Teich, beobachte die Enten. 4 Kleine haben sie dieses Jahr. In meinem letzten waren es nur 3. Meine kleine Schwester war ganz vernarrt in sie.
Ich stelle mir vor, dein See wäre noch so klar und unberührt, wie zu meinen Kinderzeiten, als Ida & Ich auf seinem Grund nach unauffindbaren Muscheln forschten. Ich stehe ruckartig auf. Nicht so viel nachdenken. Früher war früher.
Bald sehe ich den Kreis von Gewächsen, dessen Art ich noch nie definieren konnte, vor mir. Wie ein Rondell aus Blättern. Von außen kann niemand hereinschauen, und selbst wenn jemand es wöllte, hätte man ihn schon längst an dem nicht zu vermeidenden Knirschen der Stiefel auf dem Kies bemerkt.
Meine erste Kippe mit Jirko. Hochprozentigen jeden Freitag. Dieser Ort war perfekt. Und ich bedauere nicht, dass ich es getan habe. Einmal. Ich bedauere, dass ich es danach noch hundert Mal getan habe, eine wahnsinnige Nacht nach der anderen.
Wende mich ab, laufe mit meinen Gedanken weiter. Das geschlossene Eiscafé. Sein Putz ist noch mehr beschmiert und gebröckelt. Seine alte Schönheit ist kaum noch zu erahnen. Mit meinem Pa Karamell-Kaffee trinken, bevor ich ihn das erste Mal krass enttäuschte.
Dann endlich am verfallenen Internat. Jetzt sind meine Füße schon nicht mehr so federleicht. Trotzdem zwänge ich mich durch das schmale Loch im Maschendrahtzaun. Ich gehe weiter, ihr Gesicht vor meinen Augen. Ihr unverbesserliches charmantes Lächeln. Ihr weicher Blick, wenn sie mich küsste. Ihre stolze Haltung, dazu die Verletzlichkeit in ihren Augen. Ihre Stimme, wie sie mir eine Zigarette anbot. Ihre Narben, die ich nicht heilen konnte. Mein Atem beschleunigte sich. Ich kann das noch nicht. Ich muss hier weg. Renne vor dem Haus und ihr davon. Das war unser Platz.
Als ich mich halbwegs beruhigt habe, schlendere ich weiter. Einen Schritt nach dem anderen. Einen Schritt zurück zu dir. Einen Schritt weiter in dich hinein. Deine Mauern haben mich schon immer schelmisch grinsend begrüßt. In Gedanken ganz versunken an unsere gemeinsame Zeit. Das erste Mal was Klauen. Der erste Kuss mit Zunge. Der erste Joint im Mondschein. Das erste Mal sehen wie die beste Freundin den Zug küsst. Das erste Mal ``Ich liebe dich``. Das erste Weinen der Mutter am Küchentisch. Das erste Mal sich für die kleine Schwester schlagen. Das erste Mal im Piercingstudio. Das erste Mal den Tratsch der Leute hören. Das erste Mal feiern ohne aufzuwachen. Das erste Mal die Schule schaffen. Das erste Mal nicht wissen woran man ist. Wer man ist. Dann endlich gefunden. Das erste Mal ein Mädchen bis zum Tod lieben.
Hastig blickte ich mich um. Ich bin in den belebteren Teil von dir angekommen. Blicke flüchtig in die Gesichter der Leute, die ich vielleicht vom Sehen kenne. In einem 2.000-Mann-Ort ist das so gut wie jeder. Ich hab mich zu sehr verändert, als dass mich jemand von ihnen wieder erkennen würde. Ich hoffe nur, meine alte Gang taucht nicht auf. Ich schulde ihnen eine Menge Erklärungen. Zu viel für mich getan.
Als ich in jene Straße einbiege, pocht mein Herz wie wild. Bum. Bum. Bum. Noch 32 Häuser, dann stehe ich vor dem Haus meiner Familie. Ich weiß nicht nicht mal, ob ich Klingeln werde. Manches anders, manches gleich geblieben. Der private Kosmetiksalon in der 12, das Kreischen der russischen Kinder. Der Bernersennenhund, obwohl dieser etwas träger und weniger kläffend zum Tor flitzt. Nicht nur ich bin älter geworden.
Plötzlich stehe ich vor unserm Haus. Mein altes Zuhause, fast das ganze Leben dort verbracht. Die große dominante Eiche vor dem Küchenfenster ist nur noch ein Baumstumpf neben dem Asphalt. Der Zaun ist frisch gestrichen. Silbern. Ich zittere und schaue nach oben. Im Zimmer meiner Schwester brennt noch Licht. Seit wann ist sie um diese Zeit noch auf, es ist kurz nach 23 Uhr? Ich richte meine Augen auf die schimmernde Mondsichel. Letzten Monat ist sie 14 geworden. Ich hab ihr keine Karte geschickt. Verdammt. Im Licht der Straßenlaternen sehe ich die Mückenschwärme tanzen. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich fahre zusammen. ``Ey, Freundchen, kannst ma aufhörn‘ um diese Zeit vor meinem Haus rumzulungern. Mach das du weg kommst!`` Es ist mein alter griesgrämiger Nachbar. Schnell drehe ich mich um, will weg. Er packt mich grob am Arm: ``Warte ma, bist du nich die klene Lesbe von drüben, die sich damals einfach verpisst hat? Was willstn‘ hier?‘‘ Angeekelt sieht er mich an. Ich reiße mich los und renne, so schnell ich kann.
Nein, du hast dich nicht verändert. Du warst meine Stadt. Aber ich habe nie wirklich in dich reingepasst. Langsam kehre ich dir den Rücken. ``Auf Nimmer Wiedersehen``, brüllen mich deine Mauern an. Und ich brülle zurück.
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