von hexalon
In Panik drehte sich Iris herum und suchte verzweifelt das Telefon, das versteckt irgendwo im Wohnzimmer sein musste. Endlich gefunden, hob sie ab.
„Julia, bist du´s?“ sagte Iris noch etwas außer Atem, doch im selben Moment hörte sie ein Klicken, da das Gegenüber den Hörer eingehängt hatte. Eine unglaubliche Schwere überkam sie und Iris musste sich hinsetzen. Dabei nahm sie beide Hände vor ihr Gesicht und aus lauter Verzweiflung, liefen ihr Tränen über ihr Gesicht. Was war nur passiert, der gestrige Abend war doch so schön gewesen und jetzt … jetzt war plötzlich alles anders.
Julia hatte sich inzwischen nach Hause in ihrer Wohnung geflüchtet. Als sie an diesem Morgen aufwachte, war sie zu sehr von ihrer eigenen Courage überrascht gewesen. Die Bilder der letzten Nacht schossen ihr durch den Kopf, genauso wie die Röte in ihr Gesicht. Iris schien noch fest zu schlafen, sie lagen eng umschlungen bei einander und Julia hatte etwas Schwierigkeiten sich so sachte von Iris Umarmung zu lösen, ohne dass diese aufwachen würde. Sie schämte sich, ja sie schämte sich furchtbar, aber weswegen eigentlich? Die letzte Nacht war doch wunderschön gewesen, aber das alles schien ihr zu grotesk. Sie war verwirrt, durcheinander, unsicher, ängstlich und das alles auf einmal, was sie schlussendlich auch dazu bewegte sich heimlich aus Iris Wohnung zu schleichen. Und nun lag sie da, allein in ihrer Wohnung auf dem Bett. Die Gedanken schwirrten um sie herum, immer wieder war es das eine Gesicht, das vor ihrem geistigen Auge erschien, wenn sie die Augen schloss. Sie musste sie anrufen, Iris wenigsten erklären warum und wieso. Julia wählte ein paar Mal die Nummer, doch immer wieder warf sie das Telefon auf die Seite, um es kurze Zeit darauf wieder zu versuchen. Sie war plötzlich sehr nervös, was sollte sie ihr sagen.
Eigentlich wollte sie nur ihre Stimme hören, mehr nicht. Julia wählte schon zum zehnten Mal und beschloss diesmal wirklich anzurufen.
Es klingelte, ein Mal, zwei Mal, drei Mal … Julia wurde ungeduldig und dann, plötzlich hörte sie Iris Stimme. Julia war wie gelähmt und brachte keinen Ton heraus, ihre erste Reaktion war es aufzulegen. Oh Gott Julia, was tust du denn da, noch einmal nahm sie das Telefon in die Hand und wählte, aber diesmal nicht Iris, sondern Babsi´s Nummer.
„Hallo Babsi, ich bin´s“
„Hey Du … und??? …wie war´s letzte Nacht?“
„Eigentlich sehr schön“
„Eigentlich?“ Babsi klang plötzlich sehr skeptisch. „Was ist denn passiert?“ Ausschweifend erzählte Julia ihr dann was vorgefallen war und Babsi lauschte aufmerksam und gab und ab und an ein „Hmm“ und „wirklich?“ von sich. Als Julia ihre Ausführungen beendet hatte, fragte Babsi „Und wo liegt jetzt eigentlich dein Problem, es war doch schön, wovor hast du so große Angst?“.
Julia schwieg, damit hatte sich nicht gerechnet, nach all dem Erzählen ihrer Gefühlsverwirrungen und Ängste hätte sie eigentlich damit gerechnet ein paar mitfühlende Worte zu bekommen. Aber nein, im Gegenteil, Babsis Frage ließ sie verstummen.
„Bist du noch dran?“
„Ja, ja ..“ stammelte Julia ins Telefon. In Wirklichkeit war sie zwar noch in der Leitung aber ihre Gedanken waren einer anderen Leitung gefolgt und zwar der Leitung Richtung Iris.
Iris lag auf dem Sofa im Wohnzimmer, ihr verklärter Blick schwebte in der Wohnung herum, als ob sie hier die Antwort auf ihre Fragen finden würde. Immer wieder durchdrang sie ein wohlig warmes Gefühl, dass sich seit dem gestrigen Abend mit Julia in ihr festgesetzt hatte. Doch dann wurde ihr wieder schlagartig klar, dass Julia einfach gegangen war und sie einfach mit all ihrer Liebe und Sehnsucht allein gelassen hatte. Sie verstand nicht, woran es lag, hatte sie etwas falsch gemacht, aber es fühlte sich doch so richtig an. Den ganzen Tag hatte Iris damit verbracht sich den Kopf darüber zu zerbrechen, nichts anderes erschien ihr wichtiger und dabei fasste sie einen Entschluss, sie würde um diese Frau kämpfen …
Ein paar Tage waren vergangen, an denen Julia wie mechanisch die Tage durchlebte, sie lebte nicht, sie existierte nur. Sie fühlte sie schlecht und irgendwie zerrissen. Ja, zerrissen beschrieb ihren Zustand am besten. Immer wieder kam sie in einen Zwiespalt in denen sie sich den angenehmen Empfinden oder besser gesagt der Erinnerung daran hingab und dann wieder die Angst und der Zweifel die sie trieben. Genau jener Zustand, der sie auch an diesem Morgen hatte heimlich aus der Wohnung verschwinden lassen. Und dann kamen ihr Babsis Worte wieder in Erinnerung die wie ein Echo in ihrem Kopf tönten „ … und wo liegt dein Problem“
Genau, was war eigentlich ihr Problem, sie wusste es nicht genau. Abwesend saß Julia im Hörsaal und konnte den Ausführungen der Vortragenden in keinster Weise folgen. Sie fühlte etwas in sich, etwas sehr starkes, etwas, dass nur einen Gedanken zuließ …. IRIS. Sie sehnte sich nach ihr, nach ihrer Wärmen, nach ihren Küssen, aber der Zwiespalt in ihrem Kopf ließ es nicht zu etwas zu unternehmen um diesem Verlangen nach zu geben. Julia war der Meinung, dass es falsch war, was sie getan hatte, es hätte nicht sein dürfen … sie kann doch keine Frau lieben. Oh nein, dachte sich Julia, hatte sie sich das wirklich gerade gedacht … keine Frau LIEBEN?? Diese Erkenntnis brachte sie nun völlig um den Verstand, ziemlich verstört verließ sie den Hörsaal und stürzte hinaus ins Freie. An der frischen Luft hoffte sie wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, setzte sich auf eine kleine Mauer und fuhr sich hektisch durch die Haare. Was sollte sie nur tun, sie wusste nicht, ob sie stark genug wäre, um einfach zur ihr zu gehen und mit ihr zu reden, allein sie nur zu sehen würde ihr schon reichen, redete sie sich zumindest ein. Aber wo sollte das hinführen, sie kann doch nicht mit einer Frau zusammen sein, ihre Eltern würden das nicht überleben, dachte Julia bei sich und bei dem Gedanken daran würde ihr mehr als nur übel. Doch dann schoss ihr etwas anderes durch den Kopf, würde Iris denn überhaupt mit ihr zusammen zu sein wollen? Seit ihrer Flucht waren ja doch schon ein paar Tage vergangen und sie hatte von Iris nichts gehört. Vielleicht hatte sich diese damit abgefunden und dachte schon gar nicht mehr an sie. Sie machte sich auf den Heimweg, denn in ihrem Zustand war es sinnlos noch weiter irgendwelche Vorlesungen zu besuchen. Getrieben von einer unsichtbaren Macht bewegte sich Julia aber nicht Richtung Busbahnhof sondern auf wundersame Weise eher in Richtung Iris Wohnung. Sie konnte nicht anders, ihre Füße machten einfach einen Schritt nach dem anderen und schienen ihr Ziel genau zu kennen. Plötzlich erwachte Julia und stand vor der Tür und begutachtete die vielen Türschilder mit den Namen darauf. Da fiel ihr auf, dass sie nicht mal den vollen Namen von Iris kannte … sie liebte eine Frau und wusste eigentlich nichts von ihr, oder vielleicht doch, vielleicht wusste sie mehr von Iris als irgendjemand sonst. Glücklicherweise wurde die Tür geöffnet und eine etwas ältere Dame versuchte die große Eingangstür aufzuschieben, was ihr sichtlich schwer fiel. Hilfsbereit und natürlich ganz uneigennützig half Julia der älteren Dame und schlüpfte danach ins Stiegenhaus. Ein paar nervöse Atemzüge später stand Julia vor Iris Wohnungstür. Unsicher was sie nun tun sollte, starrte sie eine Weile nur auf den Klingelknopf. Als sie dann endlich den Mut fasste und die Hand heben wollte, öffnete sich plötzlich die Wohnungstür und Iris stand vor ihr mit einem Karton Altpapier.
„Hi“ presste Julia etwas überrumpelt hervor. „Hey“ entgegnete ihr Iris mit einem neutralen Gesichtsausdruck. Iris sah sehr schlecht aus, als hätte sie Nächte lang nicht geschlafen. Sie trug ein weißes Top, das wahrscheinlich eher zur Fraktion der Unterwäsche zählte, so durchsichtig wie es war und ein paar schlappernde Traningshosen. Ihre Haare waren wild zerzaust und auf der Nase trug sie eine keck sitzende Brille mit einem dunklen schwarzen Rahmen, die sie sehr sexy wirken ließ.
Julia war diesmal die erste, die sich aus der Erstarrung löste und fragte „Darf ich reinkommen?“
„Klar, ich trag nur schnell das Papier weg, bin gleich wieder da“ und damit verschwand Iris Richtung Innenhof. Julia traute sich nicht allein die Wohnung zu betreten, also stand sie weiterhin verunsichert vor der Eingangstür und wartete darauf, dass Iris zurückkam. Iris hatte sehr reserviert geklungen und distanziert. Ein ungutes Gefühl machte sich in Julia breit. Ziemlich gehetzt kam Iris zurück und bemerkte, dass Julia noch vor der Wohnungstür stand. Etwas ungläubig sah sie Julia an und zog sie dann mit sich in die Wohnung. Schnell verschwand Iris daraufhin zuerst im Bad und kam ein paar Minuten später, etwas zurechtgemacht und ohne Brille, wieder.
„Ich wusste gar nicht, dass du eine Brille trägst“ begann Julia etwas verlegen, auch weil sie nicht so recht wusste, was sie sagen sollte. „Es gibt einiges, was du noch nicht von mir weißt“ entgegnete ihr Iris und wies ihr an sich auf die Couch zu setzten. Iris setzte sich zur ihr, legte ihr Gesicht in Falten und sah Julia eindringlich an. Diese Situation kam Julia nur zu bekannt vor, denn vor ein paar Tagen war sie genau auf der gleichen Stelle gesessen, bewaffnet mit einem Kissen um die durchdringenden Blicke von Iris ein wenig abzuwehren.
„Wieso bist du hier?“ fragte Iris ganz ruhig und zurückhaltend. Ihre Blicke trafen sich und Iris erkannte sofort, dass aus Julias Augen dieselbe Sehnsucht sprach, wie auch aus ihren eigenen. Julia´s Unterkiefer zitterte verdächtig auch waren plötzlich ihre Augen mit einem feuchten Schleier verhüllt. Iris brach es fast das Herz, sie spürte die innere Zerrissenheit von Julia, sie kämpfte innerlich mit sich selbst, so wie auch schon das letzte Mal. Aber sie war hier, sie war von allein wiedergekommen, auch wenn sie vielleicht nicht wusste warum eigentlich. Doch jetzt gerade in diesem Moment saß sie bei Iris auf der Couch und versuchte sich krampfhaft den vielen Gefühlsregungen nicht hinzugeben. Iris war gerührt, obwohl sie sich die letzten Tag immer wieder gefragt hatte, was sie nur tun könnte um Julia helfend die Hand zu reichen. Sie erkannte aber immer wieder, dass es Julia von allein wagen musste, den Schritt auf sie zu machen. Und nun war sie da. Verschreckt wie ein junges Reh saß sie da mit leicht geröteten Wangen und weichen Knien. Immer wieder wandte Julia den Blick von Iris ab, um dann doch wieder genau diesen zu suchen. Julia atmete schwer. Einerseits kam sie sich so ausgeliefert vor und andererseits war sie so froh in Iris Nähe zu sein.
„Julia?“
„Ja?“
„Wieso bist du gekommen? Ich dachte du wolltest mich nicht mehr sehen, nachdem du verschwunden warst“
„ … nein, ich meine … natürlich will ich dich sehen… aber weißt du, es ist nicht so einfach für mich“
„Verstehe … aber du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt, als du plötzlich verschwunden warst und dann meldest du dich ein paar Tage nicht, einfach so …. „
„Tut mir leid … ich … ich hab einfach Panik gekriegt, vielleicht bin ich noch nicht soweit“
Iris schweigt und mustert Julia´s Gesicht, ihre Augen wirken wirklich etwas panisch und ihr Mund ist so zusammengepresst, dass ihre Lippen einem dünnen Strich bildeten.
„Brauchst du etwas Zeit?“ fragte Iris dann etwas unvermittelt. Julia sah sie ratlos an und antwortete „Vielleicht, kann sein, ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts … ich bin so verwirrt und durcheinander“ weiter sprudelt es aus Julia heraus „ …. ich kann nicht schlafen, nicht klar denken, meine Welt ist komplett auf den Kopf gestellt …. was macht du nur mit mir Iris?“
„Das gleiche könnte ich dich fragen?“ entgegnete ihr Iris und dabei lächelte sie Julia zum ersten Mal wieder an.
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