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Die Symphonie der Armstreichler

von Yilias


Sie ist weg. Die Trennung war erst leicht, dann hart, dann unerträglich. Die Phasen einer Trennung – Akzeptanz etc. – macht man immer wieder durch, wie auf dem Karussell der Déjà-vus. Man fühlt sich wie manisch depressiv, erst guter Laune – „Sie hat mich doch gar nicht verdient, dieses Jahr wird mein Jahr!“ – dann voller abgrundtiefer, schwerer Melancholie. („Eine wie sie bekomme ich nie wieder. Wie schafft sie es, mich so schnell zu vergessen? War ich es etwa nicht wert?“)
Und in dieses Melodrama aus Selbstzweifeln, Selbstmitleid und der Suche nach Antworten treten dann plötzlich die Armstreichler.
Sie meinen es gut, diese Armstreichler. Sie hören von dem, was passiert ist, sie hören aufmerksam zu und nicken mit dem Kopf. Du selbst sitzt da und erzählst die Geschichte, die du schon gefühlte 1.000 Mal erzählt hast. Jedes Wort kannst du bereits auswendig, denn die Traurigkeit ist wie ein Lied in deinem Kopf. Du lauschst deinen eigenen Worten und wunderst dich darüber, wie du es schaffst, zwischendurch noch Witze zu machen und gleichzeitig so verbittert zu klingen. Deine eigenen Worte verletzen dich nicht. Es tut dir gut, die Last loszuwerden, denn es kommt dir vor, als würde das Teilen der Worte auch das Teilen der Schmerzen bedeuten. Du fühlst dich gut, aber gleichzeitig auch schwer. Du reißt bereitwillig die Wunde wieder auf, wenn du erzählst, doch du kannst es nicht zurückhalten. Schließlich hilft es dir. Du musst reflektieren, du musst nachdenken. Du kannst es nicht einfach verdrängen und vergessen. Du musst daraus lernen. Anders geht es nicht, das weißt du.
Du fühlst dich gut. Doch dann blickst du in die Gesichter der Menschen, die um dich herum sitzen. Manche schweigen, andere reißen sofort Witze. Eigenartigerweise findest du die Witze sehr beruhigend und das Schweigen erdrückend. Dann fühlst du eine Hand auf deinem Arm. Jemand streichelt sanft über deine Haut, wispert zärtlich-mitfühlend die verhängnisvollen drei Worte.

„Das wird schon.“

So beginnt sie, die Symphonie der Armstreichler. Kollektives Trösten ohne wirklichen Nährwert. Du weißt, sie meinen es nur gut. Sie spüren deine Gefühle und wissen nichts zu tun, sie wollen dir helfen und wissen doch nicht, wie. Sie überschütten dich mit Mitleid und Sprüchen, die du schon mitsprechen kannst und die dir weder helfen noch dir etwas bedeuten. Trotzdem lächelst du. Du weißt, sie meinen es gut. Sie können mit deinem Schmerz aber nichts anfangen, dass weißt du. Sie wollen nur so schnell es geht aus der Situation raus, die ihnen unangenehm ist. Denn sie wissen nicht, wie sie dir helfen sollen. Und weil sie es nicht wissen, wollen sie dir zumindest nicht wehtun.
Dir stellen sich die Nackenhaare auf, dein ganzer Körper spannt sich an. Die Berührungen nerven dich, doch du bist höflich und lässt es zu. Du lächelst und versicherst, dass alles gut ist. Doch innerlich tauchst du unter den streichelnden Händen weg, weichst den mitleidigen Blicken aus und spürst einen unbegründeten Hass in dir aufsteigen.
Du kannst es nicht begreiflich machen, doch du weißt genau, dass dir Mitleid nicht hilft. Es zeigt dir nur, dass du es verdient hast, bemitleidet zu werden. Es hilft dir aber nicht, zu verarbeiten, zu reflektieren, fertig zu werden. Es macht dich eher trauriger, als dass es dir hilft. Aber du machst niemandem einen Vorwurf, denn sie meinen es nur gut. Kollektive Hilflosigkeit. Streicheln als Übergangshandlung, als Ablenkung von dem eigenen Nicht-Wissen.
Böse bist du niemandem. Du weißt, es ist nicht ihre Schuld. Manchmal gibt es keine Lösungen. Streicheln ist besser als Schweigen.
Aber du weißt nun, mit wem du nicht über deine Probleme reden kannst. Du verzichtest darauf, ihnen von weiteren Vorfällen zu erzählen, von weiteren Problemen, von Traurigkeit und deiner eigenen Ohnmacht. Du erzählst ihnen nicht mehr, wenn du nachts weinst oder dich tagsüber eine Welle aus Melancholie überrollt. Du versicherst ihnen, dass alles gut ist, und ersparst damit beiden Seiten, was sie gar nicht wollen.
Ein Jahr vergeht. Der Schmerz ist gewichen, nur verschwommen blickst du auf die Vergangenheit zurück, die wie Zeitraffer vor deinem inneren Auge vorbeizieht. Du fühlst dich wieder wohl. Die Traurigkeit, SIE, hast du aber nicht vergessen. Sie ist nur nicht mehr der Mittelpunkt deines Lebens. Es sticht noch immer, wenn jemand ihren Namen sagt und du zurückdenkst, aber es ist kein aktiver Schmerz mehr. Es sind nur noch verblassende Erinnerungen. Du bist glücklich.
Doch das Leben geht weiter, und während deine Wunden heilten, steuerten andere auf den Abgrund zu. Nur weil es bei dir bergauf geht, muss es bei anderen nicht auch so sein. Das wird dir bewusst, als ein Freund auf dich zukommt, am Boden zerstört, traurig, hilflos. Er wurde betrogen. Verlassen. Fühlt sich wie weggeworfen. Du fühlst seinen Schmerz, denn du kennst ihn. Trotzdem wirst du von der Hilflosigkeit angesteckt, die ihn umgibt. Was sollst du tun? Was sollst du sagen? Er sieht so traurig aus und du willst ihm helfen, doch deine eigene Unzulänglichkeit verschafft dir bloß einen Kloß im Hals.
Plötzlich spürst du, wie deine Hand auf dem Arm des Anderen liegen. Nur verschwommen hörst du deine eigenen Worte. Sie stimmen in die Symphonie mit ein. Und du hasst dich dafür.

„Das wird schon.“





copyright © by Yilias. By publishing this on lesarion the author assures that this is her own work.





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