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Bleibende Eindrücke

von muyamable


Sie tut so, als würde er ihr nicht auffallen, als würde sie ihn nicht spüren, diesen Blick, der immer wieder so neugierig auf ihr zu haften scheint. Nicht immer, aber zu oft, um einfach nur ein Blick unter vielen zu sein. Manchmal erwidert sie ihn kurz, aber eigentlich nur, um zu schauen, ob er wieder da ist – jener Blick. Es ist dunkel in dem Café, in dem Mel allabendlich ihren Milchkaffee trinkt. Es gibt nicht viele Fenster, was sie nicht stört, im Gegenteil, denn sie setzt sich immer in den hinteren Teil des Raumes. Ein Ritual, wie sie viele hat. „Ein Milchkaffee mit zwei Keksen und viel Schokoladenpulver,“ hat sie beim Betreten des Lokals gerufen, statt einer Begrüßung. Eigentlich mehr rhetorisch, denn normalerweise kennen die Bedienungen ihre Bestellung schon. Aber sie war neu.
Das Café ist leer, wie immer so früh am Abend, vor allem wie jetzt im Spätsommer, wo die Menschen lieber die letzten Sonnenstrahlen im Freien ausnutzen, bevor die Tage wieder kalt und dunkel werden und die Hitze des Sommers so unvorstellbar ist wie alt zu sein, wenn man jung ist.
Sie kommt an Mels Tisch, serviert den Milchkaffee mit zwei Keksen und, so scheint es, einer dreifachen Schokopulverschicht auf dem Milchschaum. „Bitte sehr,“ sagt sie und schaut Mel freundlich in die Augen. „Danke,“ Mel schaut zurück und hat das Gefühl, nie zuvor in solch tiefblaue Augen geschaut zu haben. Sie muss unwillkürlich an das Blau des Ozeans denken. Mel lässt ihren Blick über ihr Gesicht wandern und ihr fallen, trotz der Dunkelheit des Raumes, die vielen Sommersprossen auf, die der lange Sommer auf ihre Wangen gezeichnet hat. Viel weiter kommt sie nicht, denn ihr Blick wandert zurück zu den geheimnisvollen Augen, und dann ist der Moment vorbei, der ewig schien, in Wirklichkeit aber nur wenige Sekunden dauerte. Sie geht zurück hinter die Theke, da weitere Gäste das Café betreten haben. Da ist der Blick wieder, kurz und scheu, aber sichtlich in Mels Richtung. Ihr Herz macht einen Sprung, ein Gefühl, an das sie sich schon beinahe nicht mehr erinnern kann und genießt diese Regung in ihr. Sie holt die Tageszeitung aus ihrer abgewetzten Tasche, von der sie sich einfach nicht trennen kann. Sie fängt an, die Zeitung von hinten nach vorne zu lesen, auch so ein Ritual ihres eingespielten Tagesablaufes. Sie schaut auf die Wettervorhersage und nimmt den ersten Schluck aus ihrer großen Kaffeetasse. „Wie herrlich“ denkt sie und blättert ihre Zeitung um auf die Seite mit den Todesanzeigen. Traurigkeit steigt in ihr auf, als sie liest, dass erst gestern ein Mensch in ihrem jungen Alter an den Folgen an einer schweren Krankheit verstorben ist. Schnell blättert sie um.
Als ihre Tasse fast leer ist, schaut sie hoch. Ihr Blick kommt gar nicht bis zum Tresen, denn auf halber Strecke sieht Mel sie auf sich zukommen. Mit drei weiteren Schritten ist sie an Mels Tisch und fragt: „Kann ich dir noch etwas bringen?“ Mel schaut ihr in die Augen, 1-2-3 Sekunden, schaut dann unsicher nach unten, wo ihr Blick an ihren Händen haften bleibt. Sie findet sie unglaublich schön. Ganz wie von selbst stellt Mel sich vor, wie es sich anfühlte, wenn diese Hände sie berühren würden...und bemerkt, dass sie rot wird, als sie erwidert: „Ja, äh, ich hätte gerne noch ein Wasser.“ Sie lächelt, und Mel fallen dabei die kleinen Lachfalten an ihren Augen auf, durch die ihr Gesicht noch schöner wird. „Oh Gott, wie peinlich stotternd kann man überhaupt ein Wasser bestellen?“ denkt sie sich. Beim letzten Schluck aus ihrer Tasse sieht sie, dass sie bei der Rubrik Politik in der Welt stehen geblieben ist und liest: „In 68 Ländern der Erde ist Homosexualität immer noch illegal.“ Sie liest weiter und wird melancholisch. Schnell blättert sie weiter.
Mel schaut ihr zu, wie sie zurück an den Tisch kommt und dabei elegant eine Flasche Wasser und ein Glas auf ihrem Tablett balanciert. Mel beobachtet ihren langen, schmalen Körper. Alles an dieser Frau scheint anmutig, perfekt zu sein. Sie überlegt, wann sie das letzte Mal so fasziniert von der Präsenz einer Person gewesen ist. Sie guckt schnell weg, weil sie das Gefühl hat, schon viel zu lange zu ihr zu starren. „K-Kann ich dann die Rechnung bekommen, bitte?“ bringt sie heraus, als das Wasser vor ihr auf den Tisch gestellt wird. -„Na klar,“ erwidert sie gelassen, dreht sich sogleich um und geht zurück weg. „Ich muss hier raus, bevor ich mich total zum Idioten mache und vor Nervosität platze,“ denkt Mel und trinkt zügig ihr Wasser aus. Die Tageszeitung ist mittlerweile auf der vordersten Seite angekommen. „Wirklich Zeit zu gehen,“ sagt sie leise zu sich selbst. Ohne es zu merken, schleicht sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen und ihr Blick verharrt auf dem großen Bild an der Wand gegenüber von ihrem Tisch. In Wirklichkeit sieht sie es aber nicht. Als Mel aus dem Augenwinkel Bewegungen registriert, fokussiert sie ihren Blick und sieht sie ein letztes Mal auf sich zukommen. Ihr Herz springt einmal mehr in ihrer Brust und, obwohl sie noch nicht einmal ihren Heimweg angetreten ist, überkommt sie jetzt schon Gefühl von Sehnsucht. Mel könnte sie ewig beobachten und immer wieder neue, wundervolle Dinge an ihr entdecken, könnte sie zusammensetzen wie ein Puzzle mit unendlich vielen Teilen. „Hoffentlich ist sie morgen wieder da,“ denkt sich Mel, nachdem sie die Rechnung bezahlt hat und ihr beim Weggehen zusieht. Sie packt alles ein, nimmt Wechselgeld und Rechnung und macht sich auf den Weg nach draußen, wo ihr die Sonne immer noch entgegenstrahlt. Ihr Herz hüpft, sie lächelt und geht den Weg, den sie immer nach Hause geht. Auf halbem Wege fällt Mels Blick zufällig auf den Zettel, den sie benutzt hat, um die Getränke zusammenzurechnen und sieht in krakeliger Handschrift geschrieben: „wie viele Menschen im Leben hinterlassen einen bleibenden Eindruck? Zu wenige, um einfach wegzugehen! – Sarah.“




copyright © by muyamable. By publishing this on lesarion the author assures that this is her own work.



comments


kenn ich :-)
polo3011 - 08.01.2007 02:22
Wundervoll
Antipati? Von Antipasti? Nettes Wort...

Die Geschichte ist wunderschön geschrieben, da passt einfach alles von vorne bis hinten. Ein großes Kompliment! Und wer mit "sie" gemeint ist, kommt natürlich auch immer klar raus ;-)
Magicmaus - 03.01.2007 10:51
...
raquel17 - 03.01.2007 02:10

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