von Eiraith
Schicksal? Glück? Zufall? - Ja, über diese Dinge hatte ich mir tatsächlich Gedanken gemacht auf meinen Wanderungen durch die Stadt und angrenzenden Parks und Wälder auf der Suche nach ihr - Wir trafen uns wieder.
Wie es eigentlich immer ist in einem Moment, in dem ich gar nicht an sie gedacht hatte. Genaugenommen waren meine Gedanken auf ein Stück Papier gerichtet, dem Ergebnis meiner letzten Klausur.
"Nicht bestanden" sagte es mir schonungslos.
Genauso wie damals die Pubertät schlecht für die Schule gewesen war, schien sich jetzt mein Selbstfindungstrip negativ auf die Uni auszuwirken.
Ärgerlich - ob über die Uni, die Profs oder mich selbst wusste ich nicht genau - knüllte ich das Stück Papier zusammen und schmiss es weg, allen modischen Umweltschutzgedanken zum Trotz.
Ich kann nicht sagen, ob ich es vielleicht wieder aufgehoben hätte, denn die Entscheidung wurde mir abgenommen.
Ein schwarzweiß-gefleckter Riesenhund mit einer Leine im Schlepptau jagte dem Stück Papier begeistert hinterher, begleitet von den Worten "Randy! Nein! Max und Bessi, aus!"
Erschrocken schaute ich zuerst auf den Randy genannten Hund, der mittlerweile genüsslich mein Klausurergebnis zerkaute, dann auf den Quell der Ermahnungen, eine rasch näherkommende Staubwolke in der ich bald zwei weitere angeleinte Hunde sowie sie erkannte.
Erstaunt starrte ich sie an, und auch sie wirkte diesmal leicht verlegen.
"Wenn ihn die Begeisterung packt kann ich ihn einfach nicht mehr halten" erklärte sie schließlich, auf Randy zeigend.
"Das Papier war hoffentlich nicht wichtig? Ohjeh, jetzt muss ich mich schon wieder bei dir entschuldigen." Ich schaute von ihr zu Randy zu den beiden anderen verlangend auf das Papier schielenden Hunden, und konnte einfach nicht mehr anders: Ich musste lachen. Erleichtert fiel sie mit ein.
"Weißt du, ich helfe bei einem Tierheim aus und gehe ab und an mit ihnen spazieren. Den ganzen Tag im Käfig kann doch niemand ertragen, ich würde dabei jedenfalls eingehen." Sie wurde blass und schüttelte sich leicht.
"Da wollen sie sich so richtig austoben, wenn sie draußen sind. Nur, damit alle mal rauskommen muss ich immer so viele nehmen, und.." sie verstummte, leiser werdend.
Das Dilemma mit dem Riesenhund hatte ich ja live mitbekommen, also nickte ich.
"Wenn du magst.." fragte ich, und nahm Randys Leine. Gedanklich verschob ich die für nachmittags eingeplante Hausarbeit wieder einmal nach hinten. Sie nickte lächelnd. "Eigentlich wollte ich mit ihnen bis zum See, aber wenn dir das zu lang ist..?"
Ich schüttelte den Kopf und ging los.
Meine große Schwester hatte eine Tierhaarallergie gehabt, so dass ich nie in den Genuss von Haustieren gekommen war, auch wenn ich meine Eltern noch so viel angebettelt und -gefleht hatte. Als meine Schwester schließlich auszog war aus der Pflicht schon Gewohnheit geworden, und mir waren Jungs und Discos wichtiger.
Umso mehr genoss ich jetzt den Spaziergang, auch wenn Randy mich tatsächlich nach Belieben hin und her schleifte.
Am See schließlich gab es kein Halten mehr für ihn.
Heftig schwanzwedelnd sauste er ins Wasser, wiedereinmal Leine und mich komplett vergessend.
Ich begriff erst zu spät, dass ich besser loslassen sollte, und landete mit ihm im Wasser.
Zwischen Wut und Tränen schwankend stapfte ich wieder aus dem Wasser, den fröhlich plantschenden Randy ignorierend, als ich ihr Gelächter hörte.
Normalerweise wäre ich in einer Situation wie dieser nun erst recht wütend geworden.
Aber alle Wut entwich mir mit einem mal, und ich landete laut lachend mit einem nicht minder lauten "Platsch" sitzend im Wasser.
Als wir uns ausgelacht hatten zog sie sich rasch ihr Top und den lange Flatterrock aus und stürzte sich ebenfalls ins Wasser.
Verlegen hatte ich versucht mir ihren Körper nicht allzu genau anzuschauen, aber was ich gesehen hatte gefiel mir. Genauso wie die Quirligkeit mit der sie nun durchs Wasser fegte, als wäre es ihr eigentliches Element.
Ganz entgegen aller sonstiger Gewohnheit plantschte ich mit, und Randy schwamm begeistert japsend zwischen uns her.
Max und Bessi dösten derweil in der Sonne.
Einige Zeit später legten wir uns zum trocknen zu ihnen.
Dann folgte die erste wirkliche Unterhaltung, die wir führten.
"Wie heißt du eigentlich?" fragte ich nach einer Weile des Schweigens.
"Merle." Sie lachte leise. "Und du?"
"Katja."
Wir schwiegen wieder eine Weile, dann sagte ich: "Es ist schon seltsam, dass wir uns immer wieder begegnen. Ich habe dich mal vor einiger Zeit mit einem Löwenzahn sprechen sehen."
"Weißt du, ich denke, dass jedes Lebewesen ein Recht auf Freiheit und Liebe hat." antwortete sie langsam auf meine unausgesprochene Frage. "Die Freiheit hat er sich selbst erkämpft. Warum sollte ich ihm also keine Liebe geben?" Ich horchte ihren Worten nach. Ich hatte einmal gelesen, dass Pflanzen besser gedeihen würden wenn man mit ihnen sprach. "Hört er denn, was du ihm erzählst?"
"Ich weiß es nicht" gab sie zu. "Aber irgendetwas erreicht ihn bestimmt.. Außerdem.. Es ist schön, immer jemanden zu haben, mit dem man sprechen kann." Ich hörte ihr Lächeln. "Ich hielt dich bislang für eher schweigsam." Ich weiß nicht, warum ich dies sagte. Vielleicht hatte mich die Ehrlichkeit gepackt.
"Mit Menschen ist es auch anders." Das Lächeln verebbte. Wir schwiegen wieder.
Die Hunde wurden langsam unruhig, also machten wir uns wieder auf den Weg.
Ich hatte das Gefühl mich entschuldigen zu müssen, auch wenn ich nicht so recht wusste wofür.
"Entschuldige."
"Schon gut."
Ihre Antwort half mir kein bisschen.
Doch langsam lockerte sich die Athmosphäre wieder etwas. Merle summte ein Lied vor sich hin, und die Hunde wirkten nach dem langen Nachmittag langsam erschöpft.
Bei dem Park an dem wir uns getroffen hatten blieben wir stehen.
Abwartend schauten wir uns an, als warte jede darauf, dass die andere etwas sage.
Zeitgleich fingen wir zu sprechen an: "Soll ich.." - "Magst du.."
Wir lächelten uns an.
"Ja", ich nickte.
"Übermorgen? Wieder hier?"
Ich nickte abermals.
Unsere Verabschiedung verlief unspektakulär; wir wendeten uns lächelnd voneinander ab und gingen in verschiedene Richtungen.
Ich entschloss mich, direkt nach Hause zu gehen, auch wenn mir eigentlich viel mehr nach einem weiteren Spaziergang gewesen wäre, um meine Gedanken und Gefühle zu ordnen.
Sie verwirrte und faszinierte mich zugleich. Die Art und Weise, in der sie von Freiheit und Liebe gesprochen hatte. Ihre Stimme. Ja, und auch das Bild ihres fast nackten Körpers konnte ich mir mühelos vor Augen rufen. Was war los mit mir?
In der WG wurde ich erst einmal herzhaft ausgelacht.
Tatsache, das Seewasser hatte herrliche braune und grünliche Flecken auf meiner Kleidung hinterlassen. Wieso war mir das vorher nicht aufgefallen? Immerhin erklärte es den missbilligenden Blick, den mir unsere Nachbarin zugeworfen hatte. Jetzt konnte sie in ihrem Klatschzirkel wieder was über diese unglaublich lotterhafte Studenten-WG erzählen!
Ich schüttelte nur den Kopf und ging weiter in mein Zimmer, wo mich meine Uni-Notizen schadenfreudig angrinsten.
Ich ließ sie links liegen, legte mich auf mein Bett und ließ meine Gedanken schweifen.
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